Veilchen für den Regisseur

■ Im doppelten Sinne: „Blauäugig“ von Reinhard Hauff

Wie der gewöhnliche, so unterliegt auch der cinematische Polit-Tourismus historischen Wellenbewegungen: nach Portugal und Chile ist jetzt Argentinien an der Reihe. Jeanine Meerapfel drehte Die Mütter der Plaza Mayo mit der Unicef-Botschafterin Liv Ullman in der Hauptrolle, und Reinhard Hauff, bundesrepublikanischer Spezialist fürs politisch-realistische Kino, schiebt die männliche Variante nach. Wenn schon männlich, dann auch richtig, deshalb mußte ein viriler Hauptdarsteller her: niemand geringerer als Götz George. Der kann (fast) alles: Für Jeans werben ebensogut wie den Kommissar oder den Gauner spielen, warum also nicht auch einen Argentinier? Noch dazu einen Argentinier fast deutschen Ursprungs. Das allerdings wird seiner Figur und dem Film zum Verhängnis.

Johann Neudorf hieß nämlich eigentlich Hanus Novak, dessen Mutter im KZ Licide ermordet wird. Der kleine Hanus, wie es die Rückblenden zeigen, kam nur mit dem Leben davon, weil er große, blaue Augen und blonde Haare hatte, kurz: ein arisches Musterexemplar bis in die Backenknochen.

Allerdings hat Johann Neudorf nach dem Krieg, mittlerweile nach Argentinien emigriert, diese kindlichen Eindrücke vom Nazi-Terror erfolgreich verdrängt: Er ist ein gemachter Mann im internationalen Waffenhandel und beliefert die Militär -Junta, die diese Waffen auch einsetzt - zumeist gegen den inneren Feind, die „Terroristen“.

Das will er allerdings nicht wahrhaben, bis sich seine Tochter in einen „Terroristen“ verliebt, also auf die andere Seite gerät: entführt, gefoltert, ermordet. Danach ist Johann Neudorf eine ganz kleine Nummer und seine guten Kontakte zu den höchsten Stellen nutzen ihm gar nichts mehr. Der plötzliche Wandel des Johann N.: Endlich mal mit der grausamen Wirklichkeit konfrontiert, wird er zum Subversiven, zum Staatsfeind, der selber im Gefängnis landet.

So soll es sein. Aber ein guter Film ist mehr als guter Wille. Hier bleibt alles eine Behauptung auf Zelluloid. Götz George agiert wacker gegen eine Wirklichkeit, die offiziell gar nicht existiert, allerdings kann er sich auf seinen wichtigsten Verbündeten bei diesem Kampf absolut nicht verlassen: die Drehbuchautorin Dorothee Schön. Die hat ihm derartig hölzerne Dialoge in den Mund gelegt, daß George sie mit umso mehr körperlicher Präsenz wettzumachen versucht. Die psychologische Wandlung vom Mitläufer zum Rächer muß man sich mehr oder weniger selber dazustricken.

Das dramaturgische Finale will es so, daß Neudorfs Tochter von ihrem „Terroristen“ geschwängert wird, sie das Kind noch vor ihrem Tod zur Welt bringt, gerade so wie seinerzeit in Böhmisch-Mähren. Neudorf sucht und findet das Kind, das von einem ehemaligen Junta-Oberst adoptiert worden ist, und erschießt den Oberst.

Das hinterläßt einen ziemlich schalen historischen Nachgeschmack. Soll hier wirklich der Rassenwahn des Dritten Reichs mit dem ökonomischen Machterhalt argentinischer Junta -Cliquen verglichen werden? Soll das ferner heißen, die Argentinier sind nicht besser als die Deutschen, will sagen, alle Menschen gleich schlecht?

An dieser Story hat sich Reinhard Hauff schwerstens verhoben. Die Männergeschichte von den entrissenen Kindern reduziert diese aufs politische Kalkül, ein emotionales Verhältnis zu ihr existiert in der Tschechoslowakei sowenig wie in Argentinien. Sie sind das Kanonenfutter einer Dramaturgie, die Männer nicht anders als auf Kosten anderer scheitern lassen kann.

Auch das kann man aus dem Drehbuch einer Frau machen, danke schön. Danke schön auch für die beste Szene des Films, in der einer „Terroristin“ die Handtasche aus der Hand fällt: heraus quellen Flugblätter, und sie wird verhaftet. Das ist der Film: Die Story vorhersehbar wie die Geschichte.

P.S.: Auf dem Filmfestival in Venedig erhielt der Film den Preis der „Unicef“, weil er die Kinder als ohnmächtige Opfer aller Gewalt dieser Welt darstelle.

Lutz Ehrlich

Reinhard Hauff: „Blauäugig“, mit Götz George, Miguel Angel Sola, Julio de Grrazia, Emilia Mazer, BRD 1989, 88 Minuten