Champaign - all around my brain

Traube des vollkommenen Gleichgewichts - Opfer des Ungleichgewichts  ■ Auf Du und Du mit WITWE CLIQUOT

Es geschah Mitte September am Ufer der Marne, auf einem der teuersten Äcker des Globus. Langsam, ganz langsam pendelte sich im Inneren der Chardonnay-Traube das Absolute ein: das vollkommene Gleichgewicht von Zucker- und Säuregehalt, das französische Champagnertrauben auszeichnet. Mit angehaltenem Atem beobachten die Önologen seither das Treiben der wundersamen Trauben: „Es wird ein Jahrhundert-Champagner“, raunen sie, „dank des warmen, nicht zu trockenen Sommers.“ Jetzt schnell geerntet - und ab in die Keller der Moet -Chandon, Veuve Cliquot, Canard Duchenes und Taittingers, wo sechs Monate lang gereift, gepanscht und fermentiert wird.

Doch bald schon - ach! - tritt der edle Champagner in die rauhe Welt des Marktes ein. Und auf dem sind, so lehrten es uns die Grenznutzler, die Bedürfnisse (gerade nach Schampus) unendlich - die natürlichen Ressourcen jedoch knapp. Sehr knapp sogar, was die Anbauflächen für Champagnerwein betrifft: 34.000 Hektar, um genau zu sein. Und davon sind 29.000 schon bepflanzt. Die Nachfrage dagegen explodiert, vor allem in den Ländern, wo es viel zu feiern gibt bzw. viele gute Gründe zum stillen Saufen: Japan und die BRD. Dort wurden im ersten Semester dieses Jahres 20 Prozent (BRD) und 100 Prozent mehr Champagner gekippt als im Vorjahr. „Wenn wir nach der Nachfrage gingen, müßten wir jedes Jahr 3.000 Hektar neu bebauen“, schätzt das Interprofessionelle Champagnerwein-Komitee. Das geht aber in einer Welt der Knappheit nicht. Also wurden in diesem Jahr, als die Nachfrage von 255 Millionen Flaschen die Produktion von 224 Millionen überstieg, die Vorräte aus den Kellern geholt. Das jedoch hat zur Folge, daß die mittlere Lagerzeit der Flaschen sinkt. Und das ist schlecht für die Qualität des Champagners.

Zweiter Nachteil: Das preistreibende elitäre Flair, das den großen französischen Marken anhaftet, leidet unter dem gestiegenen Konsum. Was Otto Normalverbraucher trinkt, kann nicht Champagner sein. Folglich bleibt den Edelwinzern nur eine Möglichkeit: die Nachfrage im Zaum zu halten. Wie? Die Preise noch mehr steigenlassen als in diesem Jahr - 15 Prozent könnten ausreichen, so schätzt man in Önologenkreisen. Der Markt werde schon mitziehen, schließlich hätten die Japaner auch ohne Umschweife 55 Mark für einen eher durchschnittlichen Jahrgang 1988 gezahlt.

Alexander Smoltczyk