Entsorgungslüge Wackersdorf

Der längst beerdigte WAA-Standort gilt weiterhin als Entsorgungsnachweis für sieben Atomkraftwerke  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf gilt weiter als Entsorgungsnachweis für bundesdeutsche Atomkraftwerke. Obwohl das Projekt in diesem Sommer endgültig beerdigt wurde und auf dem Standort bereits die Ansiedlung von Ersatzprojekten fest vereinbart ist, wird der Name Wackersdorf von den Genehmigungsbehörden weiter als Standort für die ordnungsgemäße Aufbewahrung und Beseitigung abgebrannter Brennelemente geführt. Umweltminister Töpfer hat die Bundesländer als Genehmigungsbehörden entsprechend angewiesen. Dem Fernsehmagazin „Panorama“ liegt ein Brief Töpfers vor, in dem es heißt: „Kann die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (...) für Entsorgungsvorsorgenachweise herangezogen werden.“ Der Brief ist am 8. September geschrieben worden, also lange nachdem das Ende von Wackersdorf bereits Fortsetzung auf Seite 2

beschlossene Sache war. Das Bonner Umweltministerium bestätigte gestern auf Anfrage explizit die Kontinuität des „Entsorgungsnachweises Wackersdorf“. Töpfers Sprecherin Mühe sagte zur taz, daß formaljuristisch das Genehmigungsverfahren für Wackersdorf „ganz normal“ weiterlaufe. Solange dieses Verfahren noch nicht eingestellt sei, gelte auch der Entsorgungsnachweis. Er werde erst

nach Abschluß der Auslandsverträge mit La Hague und Sellafield geändert. Wackersdorf entsorgt sieben AKWs: Brokdorf, Grundremmingen B und C, Isar I und II, Grohnde und Mülheim-Kärlich. Betroffen sind demnach die Genehmigungsbehörden von Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Die taz fragte in allen vier Bundesländern nach. Die Genehmigungsbehörden bestätigten übereinstimmend, daß der Ex -WAA-Standort von den Betreiberfirmen nach wie vor für den Nachweis einer „schadlosen Beseitigung der Atomabfälle“, so die Vorschrift des Atomgesetzes, herhalten muß. Nur Schleswig-Holsteins Energieminister Jansen ist nicht mehr bereit, diese Phantom-Entsorgung zu akzeptieren. Dies hat er jedenfalls der Brokdorf-Betreiberin Preußen-Elektra mitgeteilt. Eine Stillegung von Brokdorf wird es deswegen dennoch nicht geben. Die Preußen-Elektra verweist auf ihre Kompaktlager-Kapazitäten innerhalb des Atomkraftwerks. Da Brokdorf erst seit drei Jahren in Betrieb ist, stehen noch genügend Lagerbecken für die abgebrannten Brennelemente zur

Verfügung, um die Entsorgung - zumindest auf dem Papier - zu gewährleisten. Diese Zwischenlagerung der Brennelemente innerhalb des Atomkraftwerks ist auch für die anderen Bundesländer derzeit der Rettungsanker.

Von entwaffnender Ehrlichkeit zeigt sich Bayern. Die neuen Wiederaufarbeitungsverträge mit La Hague und Sellafield seien noch nicht rechtsverbindlich, und deshalb „steigen wir sozusagen gerade von einem Zug auf den anderen um; natürlich kann man in dieser Zeit nicht den Passagier im Niemandsland stehen lassen“, erklärte Günter Graß, der Sprecher von Umweltminister Dick. Auch Graß verweist auf die Kompaktlager -Kapazitäten, Wackersdorf sei nur ein „additiver Entsorgungsnachweis“. Im übrigen bestehe gerade jetzt kein Anlaß, Entsorgungslücken zu monieren, da die WAA in La Hague „viel realistischer ist, als es Wackersdorf jemals war“. Graß weiter: „Wackersdorf ist ja über die erste Teilgenehmigung nie hinausgekommen.“ Trotzdem bleibt auch Bayern dabei, daß rein juristisch das Genehmigungsverfahren der DWK für Wackersdorf weiterläuft.

Bayern war die treibende Kraft in Sachen Wackersdorf. Im Länderausschuß für Atomenergie hatte die Münchner Landesregierung schon am 30. Mai durchgesetzt, daß Wackersdorf ungeachtet des Realitätsverlustes weiter als Entsorgungsnachweis gelten soll. Ein Sitzungsteilnehmer: „Die hatten Angst, daß die Entsorgung kippt.“

Auch Rheinland-Pfalz und Niedersachsen führen Wackersdorf weiterhin als Entsorgungsnachweis, „aber erst an letzter Stelle“, wie das niedersächsische Umweltministerium mitteilte. Rheinland-Pfalz hat für das AKW Mülheim-Kärlich neben Wackersdorf noch die beiden Zwischenlager in Ahaus und Gorleben als Entsorgungsnachweis akzeptiert. Beide Lager sind aber nicht betriebsbereit. Bleibt die Kompaktlagerung. Da Mülheim-Kärlich aber noch für längere Zeit außer Betrieb ist, sei auch der Entsorgungsnachweis im Mainzer Umweltministerium „derzeit kein Thema“.

Für den Umwelt-Anwalt und Atomrecht-Experten Rainer Geulen ist das Entsorgungsphantom in der Oberpfalz ein weiterer Beweis für die Mär der gesicherten Entsorgung.