Liebe, Tod und England

■ Neuer Film von David Hare: „Strapless“ / Ein fast anonymes Verhältnis

Ist Bruno Ganz der Cary Grant der 90er Jahre ? So abwegig ist die Frage nicht, denn in dem neuen Film von David Hare dessen peinlichen deutschen Titel ich mich weigere, auf Papier zu bringen - spielt Ganz eine ganz ähnliche Rolle wie Grant in der ersten Hälfte von Hitchcocks „Suspicion“, und auch er ist als geheimnisvoller Liebhaber unverschämt selbstsicher, charmant und verführerisch. Hare selbst sagt: „Wenn man Bruno Ganz verpflichtet, hat man den größten lebenden Schauspieler des Mysteriösen zur Verfügung. Bei Bruno braucht man nichts zu erklären.“

In David Hare's Filmen ist das Genre immer nur der Ausgangspunkt, von dem aus er ein realistisches, sozialkritisches Bild des Großbritanniens von heute zeichnet. „Wetherby“ und „Paris by

Night“ waren Thriller, „Strapless“ ist eine Liebesgeschichte.

Das Leben der Ärztin Lillian Hempel wird durch Raymond Forbes (der kaum noch ein realer Mensch, sondern eher eine Idealfigur oder eine Karikatur des romantischen Liebhaber ist) gründlich durcheinandergebracht. Er macht ihr nach allen Regeln der Kunst den Hof, schenkt ihr sogar ein lebendiges Pferd, und bringt sie dazu, ihn heimlich zu heiraten. Gleich darauf verschwindet er im Nebel von finanziellen Schwierigkeiten und wie auf der Flucht vor dem ehelichen Alltag. Wie Lillian nun mit diesem Verlassenwerden fertig wird, das ist die wirklich spannende Geschichte, und hier kann Hare, immer gestützt durch die Konventionen der Liebesgeschichte, sein bissiges und sehr intellektuell

analytisches Portrait des heutigen Großbritannien zeichnen. Das Krankenhaus, in dem Lillian arbeitet, ist von den finanziellen Kürzungen betroffen, ein junger sterbender Mann zeigt ihr immer wieder die Grenzen ihres Berufes, ihre flippige Schwester hat sich in ihrer Wohnung breit gemacht, lebt chaotisch in den Tag hinein und erwartet ein Baby. Bei den detektivischen Nachforschungen in der Vergangenheit von Raymond trifft Lillian seine erste Frau und seinen Sohn in einem idyllischen Cottage und seinen Adoptivvater als Dekan einer teuren Privatschule. Hare zeigt uns so ganz nebenbei, wie sich die britischen Akademiker in ihre gemütlichen Nischen zurückgezogen haben. Hare bringt diese vielen, sich beißenden Elemente, sehr spannend unter einen Hut. Er

wagt es sogar, direkt von einem Totenbett zu einer Geburt zu schneiden, die intellektuelle Erzählform voller Parabeln bleibt doch immer klar und elegant. Auch eine mehrere Minuten lange Rede vor dem Krankenhauspersonal gegen die Thatcherpolitik paßt ganz organisch und unangestrengt in das Kaleidoskop.

In Hare's Filmen sind immer die Frauen die starken Persönlichkeiten, und auch Lillian Hempel arbeitet sich an ihrer Krise ab, sie wird souveräner und lebendiger durch diesen Kampf. Am Schluß präsentiert sie das von ihrer Schwester entworfene, trägerlose Kleid („Strapless“! ) wie ein Symbol ihrer Unabhängigkeit: Es dürfte nicht halten, aber es hält doch. Wilfried Hippe

Atlantis 20.30 Uhr