Wie deutsch, wie links

■ Betr.: "Den Genozid zum Gärtner gemacht", taz vom 26.9.89, und "Vom hohen Roß herunter", taz vom 29.9.89

betr.: „Den Genozid zum Gärtner gemacht“, taz vom 26.9.89, und „Vom hohen Roß herunter“, taz vom 29.9.89

(...) Ich wußte, daß kein vernünftiger Mensch die im Film angesprochenen Tatsachen über Grausamkeiten und Verbrechen an PalästinenserInnen und deren Kindern bestreiten würde. Schließlich berichtet auch die 'Jerusalem Post‘ täglich ausführlich darüber.

Aber während des ganzen Films wurde ich das Gefühl nicht los, daß er bloß antiisraelisch und antijüdisch ist und gar nicht über Gewalt, ihre Entstehung und Verurteilung aufklären und reflektieren wollte. Denn der ganze Ton schien so selbstgerecht, die Schnitte verbargen kaum die Manipulation. Das Schlußwort im Film spricht ein deutschstämmiger Jude; und wenn der von Faschismus und Rassismus in Israel spricht, so mag sich das - auf Deutsch gesagt - für deutsche Zuschauer einfach überzeugend und befreiend anhören. Wer wollte da noch nachfragen, ob es für eine politische Analyse ausreicht; wer wollte da noch herausfinden, was der Mann damit möglicherweise sagen wollte.

Wer in Israel mit verschiedenen Menschen zusammenkommt und ihnen wirklich zuhört, der hört die Verzweiflung und Trauer, die auch hinter solchen Sätzen steckt. Es ist eine tiefe Verzweiflung, weil viele Menschen dort keinerlei Hoffnung in die gegenwärtige Regierung haben, aber selbst keinen Ausweg wissen aus der äußerst komplizierten Lage, in der sich die gesamte Region und ihre Menschen befinden.

Darum war ich froh über den Beitrag von David Singer und drei Tage später erschrocken über den Beitrag von Uwe Grieger. Letzterem ging es schon gar nicht mehr um den Film, sondern um Maßregelung, Schulmeisterei und Entlarvung - wie deutsch, wie links.

Die Art und Weise, wie der Autor dabei die These von der „Unfähigkeit zu trauern“ benutzt, hat mir allein seine mögliche eigene Gefühlskälte und Rechthaberei vor Augen geführt. Die Unfähigkeit zu trauern gilt erst einmal für Deutsche über ihre eigene Geschichte. Jedes Anführen dieser Aussage für andere Zeiten und Gelegenheiten bedeutet auch, die eigene Geschichte sich nicht wirklich anzuschauen und zu fühlen.

Ich muß sagen, solche vielleicht linken Kämpfer, die immer gleich Aufgaben wittern und zum Kampf auffordern, machen mir heute eher Angst. Und ich möchte schon gar nicht „gefährliche Gesichter so früh wie möglich erkennen, um sie zu bekämpfen“, wozu Uwe Grieger aufruft.

Und nun um auch einmal zu verallgemeinern: Solche Sprüche von „gefährlichen Gesichtern“ sind nicht weit entfernt von der Nazi-Propaganda, die überall das „ewige Gesicht des Juden“ ausfindig machen wollte.

Um die dunklen Seiten der eigenen Persönlichkeit wie der eigenen Geschichte nicht wahrzuhaben, projiziert Uwe Grieger sie auf einen Sündenbock: „Ein Gesicht, das sich in der bundesdeutschen Geschichte zu oft gezeigt hat.“ Das klingt so bekannt. Wen kann er bloß meinen?

Günther Kuhring, Hamburg 52

betr.: dito und Leserbriefe, taz vom 2.10.89

Gordian Troeller ist nicht Georg Stefan Troller und hat folglich auch nicht, wie der Leserbriefschreiber Wolfgang Ebert behauptet, „mit Axel Corti über seine Erfahrungen als jüdischer Emigrant“ Filme gedreht. (...)

Noch etwas ist Troeller nicht: Weder Goebbels noch REP. Das hat auch Singer nicht behauptet. Aber genau hinhören beziehungsweise lesen gehört nicht zu den Tugenden bundesdeutscher SchreiberInnen, und wenn sie nur LeserInnenbriefe schreiben.

Möglicherweise ist Singers Polemik deshalb für Uwe Grieger, der ihn wiederum am 29.9. attackiert, unerträglich: Singer nämlich belegt sehr präzis, was Troeller nicht nur in seinen Off-Kommentaren sagt und vor allem nicht sagt, sondern auch, welche Bilder er auswählt (bekanntlich geht es gerade bei Dokumentarfilmen nur selten um wirklich Authentisches; da wird gestellt, geprobt und wiederholt wie anderswo auch, zumeist aus technischen Gründen), wie er sie schneidet und mit Tönen kombiniert. Singer tut noch ein übriges: Er konzentriert seine Polemik auf die Frage: Was darf eigentlich im recht-öffentlichen deutschen Fernsehen zur allerbesten Sendezeit alles schon wieder laut gesagt und gezeigt werden, das heißt er konfrontiert Troellers Film mit den Gepflogenheiten des Fernsehwesens, mit dem mutmaßlichen Publikum und mit dem Unterboden aus Verdrängenwollen, schlechtem Gewissen und dem Wunsch nach Entlastung von „der ganzen jüdischen Problematik“. Polemisch, gewiß; möglicherweise wut- oder schmerz„verzerrt“. Aber dennoch präzis, nachprüfbar, argumentierend. Und was tut Grieger?

Er leugnet, er fährt Retourkutschen (auf Singers Attacke, daß Troeller „Kinder mißbraucht für eine perfide Mischung aus Wahrheiten über israelische Greueltaten, tränendrüsigen Lügen und widerlicher Geschichtsklitterung“, fällt ihm nur der Vorwurf ein, Singer „vernutzt Kinder, um die eigene Machtposition unreflektiert zu zementieren“...) und läßt seine ganze Selber-Doof-Litanei gipfeln in der etwas schief in den grammatischen Angeln hängenden Sentenz: „Der Blickwinkel der 'Kinder der Welt‘ ist der beste Blickwinkel, daß sich 'Geschichte‘ nicht wiederholt.“

Das mag sein. Nur ist Troellers Film nichts weniger als ein Film „aus dem Blickwinkel der Kinder“ und nichts weniger als eine „saubere journalistische Darstellungsform“, wie Grieger behauptet. Herr Troeller ist ein durch und durch erwachsener Mann, der eine Kinderperspektive vorgibt, um sie permanent und höchst erwachsen zu verzerren.

Auch ich fand die palästinensischen Steppkes mit ihren Mackerposen, ihrem Bock auf Randale und Heldentum und ihrer peinlich altklugen Staatsräsonniererei ekelhaft. Ebenso ekelhaft wie die Tatsache, daß in Troellers palästinensischen Dörfern Mädchen kaum und Frauen nur insoweit zu existieren scheinen, als sie Mütter sind, die um ihre Söhne trauern und bangen müssen. Es scheint auch keine erwachsenen Männer zu geben. Keine Vorbilder, keine „Führer“, die kleinen Jungs in schlechter alter Macho-Manier den Mythos vom heilbringenden bewaffneten Kampf in Herz und Hirn pflanzen, keine Exilpolitiker, unter denen auch einige keine Skrupel haben, Kinder als taktische Masse, um nicht zu sagen: als Kanonenfutter zu mißbrauchen.

Der Skandal, daß bis an die Zähne bewaffnete israelische Soldaten Kinder verwunden und erschießen, wird dadurch, daß kein herrschender Palästinenser diese Kinder vom Heldenwahn in vorderster Front abhält, durchaus nicht geringer. Aber dieser Skandal ist - aus der Kinderschutzperspektive betrachtet - leider „nur“ die eine Hälfte eines unerträglichen Zustands. Andererseits wird er auch nicht skandalöser als etwa das, was der südafrikanische weiße Mann Kindern in Townships und Homelandes antut, nur weil die Soldaten in diesem Fall Isarelis, also Juden sind. Es gibt keinen „jüdischen Krieg“, ebenso wenig wie einen „christlichen“, „islamischen“ oder gar „heiligen“ Krieg. Es gibt nur Krieg oder den Versuch, ohne seine mörderischen Mittel auszukommen, um Konflikte zu lösen. Und Krieg vernichtet Kindheit, weil er alle Menschen, die er hineinzieht, verroht, indem er sie dem absoluten Primat der militärischen Logik unterwirft. Dem Gesetz des Männerwahns, anders gesagt. Es ist dieses Gesetz, daß aus Konkurrenten Feinde macht, die sich gegenseitig vernichten müssen, weil sie nur noch Angst voreinander kennen. Kinder, das ist ihr schutzwürdiges „Privileg“ auf dieser Welt, stehen außerhalb dieses Gesetzes, sind da noch nicht hineinsozialisiert worden - solange sie Kinder sein dürfen.

Von einem Film aus dem „Blickwinkel der Kinder“ erwarte ich, daß er mir diese Wahrheit durch Analyse und Information nahebringt. Sie ist nicht bequem, sondern voller schmerzhafter Widersprüche und ohne die tröstliche Aussicht auf eine heile Welt am Ende. Im Falle palästinensischer Kinder ist sie mit Sicherheit noch komplizierter und widersprüchlicher. Troeller hat sich Widersprüchen erst gar nicht gestellt. Er hat seine palästinensische Welt in „Gut“ und „Böse“ gesäubert (und das ist der einzige Zusammenhang, an dem mir zu seinem Film das Wort „sauber“ einfällt). Bei den Palästinensern herrscht das Gute, Hehre und berechtigte Verzweifel/Angst. Bei den Juden dagegen militaristischer Expansionstrieb, rassistische Arroganz und Vernichtungstrieb.

Das ist nicht nur zu wenig und nicht nur falsch. Es ist obendrein - und nur an dieser Stelle ist für mich bedeutend, daß es in diesem Film auch um Jüdisches ging - extrem demagogisch in diesem Land mit dieser seiner jüdischen Geschichte: Es weckt, schürt, bestätigt den unter einer immer dünneren, brüchigen Fassade schlummernden Antisemitismus und verleiht ihm die Würde der öffentlich -rechtlichen Hauptabend-Information. Und das ist eben auch unerträglich. Unerträglich wie der Krieg mit Waffen. Es ist Training. Einübung in die Unterwerfung unter den Primat der militaristischen Logik mit seinen brutalen Vereinfachungen und seiner Unfähigkeit, Widersprüche auszuhalten und auszuhandeln.

Pieke Biermann