Kürze ohne Würze

■ Ausführliches zum „Wörterbuch der Abkürzungen“

Haben Sie mal eben Zeit? Wirklich! Nur kurz! Ich möchte nämlich Ihre Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, das meist zu kurz kommt. So las ich zum Beispiel vor kurzem: „F., Anf. 40, schlk., gesch., attr., m. 2 fröhl. Kl.ki, sbew., akt., su. unkonv., pos. denkd., berufl. erfolgr., ungeb. M (n. üb. 50) i.R. OS-HH f. dauerh. Bez., Tel.: 12345678“.

Wie man an dieser Kont.anz. aus einer gr. dt. WZtg. sieht, ist auch das Liebeswerben nicht von ihr verschont geblieben: v. d. KW (von der Kürzungswut). Schon in der Römerzeit gab es Abkürzungen und Kurzwörter, aber gewiß nicht annähernd so viele wie im Jahre MCMLXXXIX. EDV und PC - Symbole für das Bemühen, so viele Informationen wie möglich auf so wenig Platz wie nötig unterzubringen - beschleunigen noch einmal den Trend zur Kürze, in der keine Würze mehr liegt. Von KSZE bis OPEC, von ASU bis WISO, von AIDS bis SDI - so kürzelt es durch 'FAZ‘ und 'FR‘, durch SFB und RIAS, durch ARD und ZDF. Ja, kürzlich hat es erstmals die bis dahin recht unscheinbare Präpositionsabkürzung „wg.“ zum medialen Kürzel -Renner gebracht.

In grauer Vorzeit einmal dem Wunsche nach Vereinfachung entsprungen, führt heute die Angewohnheit, es kurz zu machen, nicht erst bei BayBSVDELF (Bereinigte Sammlung der Verwaltungsvorschriften des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) zum kommunikativen Kurzschluß. Auf dem Wege zur Verständigung ist eben eine Abkürzung nur zu leicht ein Umweg. Und wer da zu kurzatmig ist und nicht mehr durchblickt, dem pflegen schon die lieben Kurzen eine Riesenabkürzung um die Ohren zu hauen: DbddhkP („Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen!“).

Damit uns unter Erwachsenen nicht das gleiche blüht, wird uns - als unerläßliche Lebenshilfe - das Wörterbuch der Abkürzungen (in der dritten, ungekürzten Auflage) angeboten. Herausgeber: BI (Nein, keine Bürgerinitiative, auch kein Bundesbahninspektor aus dem Bistum Bielfeld sondern das Bibliographische Institut in Mannheim). Was läßt sich in aller Kürze über diesen Duden sagen?

Nun, gehört er auch nicht gerade zu den drei Büchern, die ich auf eine einsame Insel mitnähme, wenn ich wählen wollte, dürfte, müßte - soviel steht doch fest: ohne eine gewisse poetische Hintergründigkeit ist er nicht. Denn was lassen sich nicht alles für geheime Verbindungen zwischen dem Bachwerkeverzeichnis (BWV) und dem Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV) ausdenken? Oder zwischen Daimler Benz (DB) und dem Diphterie-Bazillus (DB)? Oder gar zwischen Malawi (MW), Mittelwelle (MW) und Mehrzweckwaffe (MW)? Für den Phantasiebegabten liegt hier ein reicher Fundus bereit.

Die sage und schreibe „38.000 Abkürzungen und ihre Bedeutung“ sind nicht nur philologisch (phil.), sondern auch philosophisch (phil.) höchst interessant, führen sie uns doch den unaufhaltsamen Wandel der Zeiten vor Augen: Dachte noch in meiner Jugend jedermann bei „BB“ an eine mittelmäßige, aber für den pubertierenden Geschmack offenbar reizvolle französische Schauspielerin, finden wir in diesem Wörterbuch nichts mehr von ihr. Statt dessen stoßen wir auf den unsinnlichen Beamtenbund (BB), die spröde Block-Basis -Schaltung (BB) oder gar die Bundesbahn (BB), die uns zwar teuer kommt, aber gerade dadurch wenig Verführerisches hat (und die ich noch vor kurzem ausschließlich hinter „DB“ vermutete).

Aber gewiß doch ihrer berühmteren amerikanischen Kollegin wird der Duden ein Initial-Denkm. gesetzt haben, meinen Sie? Dto. Fehlanz.! Marketing-Management, Memmingen und Militärmusik - Sie können wählen. Zufall? Ich meine: Nein! Wir können hier vielmehr - kurz gesagt - einen Trend „weg von der Sinnlichkeit“ gespiegelt sehen, einer Sinnlichkeit, für die in unserer schnellebigen Welt wahrscheinlich ganz einfach die Zeit fehlt. (Gern würde ich mich über dieses Thema weiter auslassen, aber ich muß mich kurz fassen.)

Wieviel Wahrheit liegt nicht in dem Umstand verborgen, daß manche Wörter auf die gleiche Weise abgekürzt werden: Man schlage im Abkü-Dud. nur unter „Mw“ nach, wo die „Massenware“ dort steht, wohin sie gehört: neben „Müllwagen“. Und es entbehrt nicht - zumindest historisch betrachtet - einer gewissen Berechtigung, daß wir unter dem Eintrag „Konk.“ „Konkordat“ und „Konkubinat“ traut vereint finden.

Mindestens jedoch werden in diesem Band auf kurzweilige Art unsere schlimmsten WL (Wissenslücken) beseitigt. Oder wußten Sie schon, daß sich die bundesdeutschen luftleeren Räume zum Deutschen Arbeitskreis Vakuum (DAV) zusammengeschlossen haben? (Sein europäisches Pendant, die AGONIE „Arbeitsgemeinschaft des organisierten Nichts in Europa“ finden wir allerdings nicht aufgeführt. Ein Mangel, der in der nächsten Auflage behoben werden sollte.) Auch war Ihnen sicher nicht bekannt, daß gerade die deutschen Techniker über einen fulminanten Sinn fürs Poetische (sei es hier auch mehr das Onomatopoetische) verfügen. Oder hätten sie sonst ihren Deutschen Ausschuß für technisches Schulwesen mit DATSCH abgekürzt?

Nicht zuletzt haben wir es hier aber mit einem eminent politischen Werk zu tun, das ebenso lapidar wie schonungslos aufdeckt, wie sehr doch in unserer Gesellschaft Minderheiten noch immer unterdrückt, ja geradezu wie Dinge behandelt werden: Oder wie soll ich den Eintrag „B.z.Wv. Beamte zur Wiederverwendung“ anders verstehen denn als Umschreibung dafür, daß in unserem Lande Staatsdiener recycelt werden?

Kurz und gut: Ein spannendes Buch, daß manche Kurzweil bereitet, aber auch viele Fragen aufwirft. Wieso kann ich bei der Lektüre dennoch nicht recht froh werden? Lag es daran, daß die Duden-Redaktion im Nachwort den „Mangel an allgemein verbindlichen Leitlinien für das Bilden von Abkürzungen“ beklagt und „umfassende verbindliche Richtlinien“ fordert? (Ein AzKdtKüWe - ein „Ausschuß zur Koordination des deutschen Kürzungswesens“ wird wohl in Kürze einberufen werden.) „Sonst aber habe ich keine Sorgen“, so sprach bei ähnlicher Gelegenheit kurz und bündig ein gewisser Tucholsky (abgekürzt: Tucho).

Aber vielleicht bin ich auch nur gekränkt, weil ich beim Lesen erfahren mußte, daß das akademische Titel-Kürzel, mit dem ich mich schmücken darf, nicht nur „Magister Artium“ bedeutet, sondern auch „Miniatur-Ausgabe“. PP (Peinlich, peinlich.)

Peter Tomuscheit, M.A.

Wörterbuch der Abkürzungen, Bibliographisches Institut Mannheim