Friedensnobelpreis für den Dalai Lama

Kampf für die Freiheit seines Volkes honoriert Anerkennung für Chinas Demokratiebewegung  ■  Von Jürgen Kremb

Oslo (dpa/afp/taz) - Als in Oslo gestern bekannt wurde, daß der im indischen Exil lebende Führer der Tibeter, der Dalai Lama, den Friedensnobelpreis erhalten wird, kam unter den Beobachtern zuerst Enttäuschung auf. Beobachter hatte mit einem Votum für die tschechische Reformbewegung und einer Preisverleihung an Vaclav Havel gerechnet.

Mit der längst fällig Preisverleihung an den geistigen und politischen Führer der Tibeter ist sicherlich auch eine ideelle Anerkennung für die chinesische Demokratiebewegung verbunden, die am 4. Juni in Peking blutig niedergeschlagen wurde. Der Sprecher des Nobelpreiskomitees, Egil Aarvik, sagte nach Bekanntgabe, das Komitee hätte keine Einwände, wenn seine Entscheidung als ein Zeichen der Ermutigung für die chinesische Demokratiebewegung interpretiert würde.

Die Verleihung an den 53jährigen Dalai Lama darf dennoch nicht als Ersatzlösung angesehen haben. Wie wenige Persönlichkeiten in der Welt hat sich der unter dem Namen Tenzin Gaytso auf den heutigen Gebiet der chinesischen Provinz Qinghai geborene Dalai Lama für Frieden in der Welt eingesetzt.

In den Begründung des Nobelkomitees heißt es: „Das Komitee hat bei seinen Überlegungen besonderes Gewicht darauf gelegt, daß sich der Dalai Lama beim Kampf zur Befreiung Tibets konsequent der Anwendung von Gewalt widersetzte und statt dessen Friedenslösungen vorgeschlagen hat.

Das war nicht immer einfach. Denn die persönliche Lebensgeschichte des Dalai Lamas ist eng mit der Agonie seines Volkes verbunden. Als die chinesische Volksbefreiungsarmee 1950 das fast unbewaffnete und unabhängige Tibet überfielen, war er gerade 15 Jahre alt. Zuerst sei er selbst von dem Charisma Mao Zedongs begeistert gewesen, hatte er im vergangenen Jahr in einem taz-Interview eingeräumt.

Doch als sich dann in den Jahren danach abzeichnete, daß die vermeintliche Befreiung aus dem „Feudalismus“ in einen Genozid auszuarten drohte, flüchtete er 1959 mit 100.000 seiner Gefolgsleute ins indische Exil. In den Jahren danach starben nach Schätzungen der Internationen Juristenkommission durch die Politik der Chinesen mehr als eine Million Tibeter auf dem Dach der Welt. Die Kultur wurde fast vollständig zerstört.

1988 bot der Dalai Lama der chinesischen Regierung an, auf den Alleinvertretungsanspruch zu verzichten, wenn Menschenrechte in seiner Heimat gewahrt, die Natur geschützt und die kulturelle Identität seiner Landsleute erhalten bleiben würde. Als es jedoch seit Herbst 1987 zu zahlreichen blutigen Unruhen auf dem Dach der Welt kam, die zahlreiche Todesopfer forderten, verhängte die chinesische Regierung über den entlegenen Landesteil das Kriegsrecht.

Zahlreiche Tibeter sagen heute, hätte die internationale Öffentlichkeit die Ereignisse in Lhasa richtig gewertet, wäre das Massaker auf dem Tiananmen vorherzusehen gewesen.