Für eine sozialistische Reformpartei

Mihaly Bihari ist enger Mitarbeiter des Reformers Pozsgay / Zur Spaltung der Partei  ■ I N T E R V I E W

Mihaly Bihari (46) ist einer der Vordenker der ungarischen Reformkommunisten. Der Staatsphilosoph und Professor an der Universität von Budapest, der auf dem einzigen Lehrstuhl für Politiktheorie im Lande sitzt, wurde 1987 aus der USAP, der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei, ausgeschlossen. Als die Partei ihn später wieder aufnehmen wollte, verweigerte er sich. Er ist heute Mitglied der von Pozsgay inspirierten „Bewegung für ein demokratisches Ungarn“.

taz: Sie sind einer der Verantwortlichen für das atemberaubende Tempo der ungarischen Reformbewegung, die vor der kommunistischen Partei nicht haltmacht. Steht die Partei vor einer Spaltung?

Mihaly Bihari: Ganz sicher. Aber wie, ist noch nicht ausgemacht. Ich sehe drei Szenarien. Das erste ist, die orthodoxen Kräfte um Ribanszki und die Ferenc-Muennich -Gesellschaft gründen eine neue Partei, die mit ihren höchstens 15.000 Mitgliedern bald ins politische Abseits gedrängt wird. Das große Konglomerat in der Mitte, darunter der ehemalige Parteichef Karoly Grosz, der ehemalige Chefideologe Janos Berecz und der ehemalige Ministerpräsident Rezso Nyers, will eine reformierte Ungarische Sozialistische Partei gründen und hat Chancen auf dem Parteitag, die Mehrheit zu gewinnen, wenn es ihr gelingt, Imre Pozsgay einzubinden.

Diese neue Partei wäre aber genauso lebensunfähig wie die heutige USAP. Die Menschen haben einfach die Nase voll von Apparatschiks vom Schlage Grosz und Berecz. Und so hätte diese Formation wohl kaum Chancen, gegenüber den oppositionellen Parteien zu gewinnen. Die Reformer jedoch, die in diesem Konglomerat bleiben - wie Miklos Nemeth, der heutige Ministerpräsident, Imre Pozsgay, Außenminister Guyula Horn oder auch Parlamentspräsident Matyas Szürös -, würden ihre heutige Popularität im Nu verlieren. In diesem Fall wäre es wahrscheinlich, daß 30- bis 40.000 Reformintelligenzler aus der Partei austreten. Diese Konstellation wäre also sehr schlecht.

Bleibt also nur der radikale Bruch mit der USAP?

Moment. Es ist noch ein anderes Szenario möglich. Die Partei könnte in viele Einzelteile auseinanderbrechen. Davon hätte niemand etwas außer der Opposition. Für mich ist das auch eine schlechte Lösung.

Die dritte Möglichkeit jedoch hätte eine Zukunft. Die Orthodoxen trennen sich ab, wie im Fall eins. Die Mitte gründet ihre erneuerte USAP, die irgendwann auch bedeutungslos werden wird, und auch die Reformsozialisten gründen eine eigene Partei. Die würde dann von Nemeth bis Pozsgay reichen. Die drei Möglichkeiten sehe ich, wage aber keine Prognose.

Für Sie ist nur die Reformerpartei interessant. Mit welcher Programmatik könnte die erfolgreich sein?

Mein Ziel ist es auf jeden Fall nicht, die USAP in eine Partei neuen Typs, eine demokratische sozialistische Partei, umzumodeln. Ich will etwas wirklich Neues. Es soll eine Partei werden, die aus den Reformkreisen der Partei hinaus auch für andere attraktiv wird. Zum Beispiel für Mitglieder der Liga der Freien Demokraten (SDS) oder für die der größten Oppositionspartei, des Ungarischen Demokratischen Forums (MDF), und natürlich auch der Sozialdemokraten. Die neue Partei müßte erstens einen klaren Trennungsstrich zur marxistischen Ideologie, zum diktatorischen Herrschaftssystem und zum Bolschewismus ziehen und zweitens den Boden einer Klassenpartei verlassen und den Charakter eines Bündnisses haben, das sich an Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Gerechtigkeit, Frieden und der Erhaltung der Umwelt orientiert. Sie müßte den politischen, religiösen und kulturellen Pluralismus garantieren und auch postmateriellen Werten verpflichtet sein, wie sie etwa die Grünen in der Bundesrepublik vertreten.

Wenn die Reformer aber jetzt aus der Partei aussteigen und auf die Wahlen warten - werden dann nicht ganz andere Mächte in dieses Machtvakuum eindringen und gegen die Reform auftreten können?

Nein, die Gefahr sehe ich so nicht, der Staatsapparat wird zunehmend von dem Parteiapparat getrennt, eine Regierung aus Experten könnte die Zeit überbrücken. Die Gefahr des Machtvakuums sehe ich anders: Wenn die jetzige Opposition die Wahlen gewinnen sollte, befürchte ich schwerwiegende Konflikte. Denn diesen Parteien fehlt es noch an Konzepten und auch an Personal - in ihren Führungen tummeln sich neben ernstzunehmenden Leuten auch politisch drittrangige Leute. Noch herrscht dort ein primitiver Antikommunismus vor, in dem Ribanszki, Nyers und Pozsgay in einen politischen Topf geworfen werden. Bei einer Machtübernahme durch diese Parteien könnte es passieren, daß gerade die erfahrensten Experten aus den Verwaltungen gedrängt werden. Diese Gefahr müssen wir aber in Kauf nehmen. Wenn die Lage sich in meinem Sinne entwickelt, hoffe ich, daß eine demokratische, sozialistische Reformpartei der linken Mitte ihre Chance in dieser Gesellschaft hat.