Gedränge im Zentrum

Etwa ein Fünftel der Delegierten des Parteitages der ungarischen Kommunisten zählt zu den engagierten Reformern. Die orthodoxen Kräfte auf der anderen Seite sind etwa genauso stark. Entscheiden über die Zukunft der Partei werden aber die Zentristen. Von ihnen hängt es ab, welchem Flügel sie ihre Unterstützung geben werden. Dabei ist es für das Zentrum gar keine Frage, wen es unterstützen müßte: Eine Rückkehr zu Methoden der Kadar-Ära wird es auch für sie nicht mehr geben.

Umstritten ist in ihrem Kreis lediglich, welches Ausmaß an Veränderungen sie tolerieren sollen. Zeigen sie sich zu nachgiebig, könnten ihnen die Reformer den Boden unter den Füßen wegziehen. Für viele hieße das, sie würden ihre angestammten Privilegien verlieren. Gewähren sie zu wenig Unterstützung, könnten womöglich die Reformer die Partei verlassen. In diesem Falle sähen sich die Zentristen im Bunde mit den verknöcherten Kräften der Partei. Bei freien Wahlen hätte sie keine Chance.

Wer die Köpfe des Zentrums sein werden, ist schwer zu sagen. In den vergangenen Wochen hat keiner der Spitzenkader Zweifel daran aufkommen lassen, daß er sich zum Führer dieser Gruppierung berufen fühlt: Staatsminister Imre Pozsgay ebenso wie der Parteivorsitzende Rezsö Nyers und neuerdings auch Generalsekretär Karoly Grosz. Janosz Berecz, Chefideologe noch zu Kadars Zeiten, der noch vor wenigen Monaten trotzig behauptete, der Volksaufstand 1956 sei eine „Konterrevolution“ gewesen, möchte jetzt ebenfalls noch als Mann des Zentrums glänzen.

Die Partei wird diese Politiker wegen ihres Glaubwürdigkeitsverlustes aber wohl kaum an ihrer Spitze akzeptieren. Sie verfolgen das Ziel, den als „Extremisten“ verrufenen Pozsgay aus der Führung zu verdrängen, gleichzeitig den Reformer Nyers aber einzubinden. Erdrutschartige Verschiebungen glauben sie so verhindern zu können.

Dies kann jedoch nicht in Nyers Interesse liegen. Denn er war es, der alles daran gesetzt hat, Grosz aus dem Machtzentrum zu verdrängen. Allerdings bemüht er sich, ein Auseinanderbrechen der Partei zu verhindern. Nach seinem Konzept sollten nur die äußersten Ränder die Partei verlassen, um sie so als Ganzes zu erhalten. Nur so könnten laut Nyers Flügelkämpfe vor den Wahlen verhindert werden.

Die Befürworter eines zentristischen Weges rekrutieren sich zum Großteil aus dem Parteiapparat. Sie sind persönlich mit den gegenwärtigen Strukturen des Systems eng verflochten. Besonders für sie wirkte Pozsgays Versprechen an die Opposition, die USAP werde ihre betriebsgruppen auflösen, wie eine akute Bedrohung. Ihretwegen mußte er diesen Vorschlag wieder zurückziehen. Zu entscheiden haben nun die Apparatschiks des Zentrums. Werden sie bereit sein, auf einen Teil ihrer Privilegien freiwillig zu verzichten, oder beharren sie auf dem Status quo. In diesem Falle wäre das kommunistische Chaos perfekt.

Tibor Fenyi