Parteikongreß bei Ungarns KP: Wer erbt das Weiße Haus an der Duna?

■ Die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (USAP) wird sich auf ihrem heute beginnenden Kongreß spalten - die Frage ist nur: wer drängt wen aus der Partei?...

Niemand weiß, wie lange dieser Parteikongreß dauern wird. Fest steht nur, daß die bisherige Parteispitze heillos zerstritten ist. Angesichts der verheerenden Wahlniederlage der polnischen Bruderpartei und der ersten Siege der ungarischen Opposition bei Nachwahlen versuchen drei KP-Fraktionen ihre politische Haut zu retten - oder sie möglichst teuer zu verkaufen: die Reformer um Staatsminister Imre Pozsgay (siehe Interview), die

Klein und dicklich ist der Mann, sein rundes Gesicht und die bäuerlichen Züge lassen kaum ahnen, mit welcher Power er zu Werke geht. Imre Pozsgay, Motor der ungarischen Reform und Präsidentschaftskandidat, hat jetzt selbst als erster ausgesprochen, was vorher nur mühsam unter der Decke gehalten worden war: Wenn die Partei nicht auf einen eindeutigen Reformkurs ginge und ihren ideologischen Ballast abwerfe, werde er die Partei verlassen. Und mit ihm würden viele gehen, die jetzt in den Reformzirkeln der Partei organisiert sind. Pozsgay, der schon manches Parteitabu durchbrach, hat damit vor zwei Wochen öffentlich die Spaltung auf die Tagesordnung der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP) gesetzt. Und dort steht sie immer noch.

Eine neue politische Sensation aus Ungarn ist also zu erwarten. Wenn die mehr als 1.200 Delegierten des vorgezogenen Parteikongresses zusammentreten, geht es darum, daß die Partei nicht mehr in der Lage ist, auch nur das Tempo der politischen Veränderung zu überstehen. Als am 20.September die Vereinbarungen am „Dreieckigen Tisch“ zwischen Regierung und Opposition veröffentlicht wurden, fühlte sich so mancher Parteiveteran in eine andere Welt versetzt.

Freie Wahlen zu Beginn des nächsten Jahres waren mit der Opposition ausgehandelt worden, vorgezogene Wahlen für die Präsidentschaft der Republik, ein Parteiengesetz, eine Novelle des Strafgesetzbuches, ein Gesetz über die Einrichtung eines Verfassungsgerichts auf den Weg gebracht. Als auch noch die DDR-Flüchtlinge gen Westen durften und von Parlamentspräsident Szürös die Neutralität spätetens für das Jahr 2000 versprochen wurde, hatte sich die „Republik“ - das Adjektiv sozialistisch wird künftig wegfallen - wieder mal verändert.

Die Frage, um die es auf dem Parteikongreß für die Fraktionen auch schon geht, ist das Wie der Spaltung. Wer wird mit wem ein Zweckbündnis eingehen, wer wird die Macht im Staate, zumindest bis zu den Wahlen zu Beginn des nächsten Jahres, behalten können? Und dann besteht ja das ernste Problem, welche Strömung wieviel vom gemeinsamen Besitz der Partei, ihrem Geld und ihren Liegenschaften, die einen Wert von mehreren Hundert Millionen Mark haben, zu erwarten hat.

Kurzum, wer bleibt im „Weißen Haus an der Donau“, wie das ZK-Gebäude am Ufer in der Nähe des Parlamentsgebäudes von den Budapestern respektlos genannt wird? Ein Zeichen dafür, wie zäh um diese Fragen gerungen wird, ist, daß in den letzten Tagen vor der Konferenz niemand aus der oberen Etage der Partei zu sprechen ist. Hinter den verschlossenen Türen jagt eine Sitzung die andere, es wird um die Tagesordnung gekämpft, Kompromißformeln werden abgecheckt, Zweckbündnisse geschmiedet und wieder aufgegeben.

Das aus vier Mitgliedern bestehende Präsidium der Partei, das anstelle eines Parteichefs jetzt oberstes Organ ist, ist jedenfalls handlungsunfähig geworden. (In diesem Gremium sitzen die Reformer Imre Pozsgay und Ministerpräsident Nemeth sowie zwei Zentristen: der ehemalige Parteichef Grosz und der

ehemalige Ministerpräsident Nyers, Präsident der USAP und Vater der ungarischen Wirtschaftsreform der 60er Jahre.)

Die drei Strömungen

Drei große Strömungen gibt es in der Partei. Zur „linken“, wie es im ungarischen politischen Koordinatensystem heißt, zählen die Orthodoxen, die Dogmatiker, die Ultras, die Extremisten, kurz: die Stalinisten der Partei. Angeführt von Robert Ribanszki (siehe Porträt unten), sind sie in der im Mai gegründeten Marxistischen Einheitsplattform organisiert, die sich inzwischen nach eigenen Angaben auf über 10.000 Mitglieder stützen kann. Die vor allem aus Pensionären bestehende Ferenc-Muennich-Gesellschaft, die zwar außerhalb der Partei agiert, aber sehr viele Parteimitglieder in ihren Reihen hat, gehört ebenso zu diesem Flügel wie die Arbeitermilizen, die 60.000 Mann umfassen sollen. Bisher gelang es dem orthodoxen Flügel, die Auflösung dieser Milizen zu hintertreiben. Das Faustpfand der Partei wird bis Ende des Jahres lediglich auf 40.000 Mann abgerüstet.

Das Zentrum

Dem orthodoxen Flügel wird es auf dem Parteikongreß jedoch schwerfallen, sich durchzusetzen. Bevor die Stalinisten ihre eigene Organisation konsolidieren konnten, wurden die Delegierten des Parteitags bestimmt. Und deren Sympathie dürfte mehrheitlich der Mittelgruppe, den Zentristen, gelten, die für die „richtige Delegiertenauswahl“ gesorgt haben. Die führenden Köpfe der Zentristen, Karoly Grosz, Rezsö Nyers und der ehemalige Chefideologe Janos Berecz, sind sich aber untereinander nicht mehr grün, hatte Grosz doch eine Zeitlang mit Pozsgay paktiert und Berecz seines Postens enthoben.

Der aus der sozialdemokratischen Tradition der Partei stammende Nyers, der 1968 in der politischen Versenkung verschwunden war, weil seine Vorschläge zur Wirtschaftsreform zu radikal erschienen, steht in manchen prinzipiellen Fragen des Reformprozesses den Reformkommunisten näher als dem Zentrum.

Der zentristische Flügel ist durchaus bereit, die Partei zu reformieren, ideologischen Ballast abzuwerfen, außenpolitisch dem Westen gegenüber Punkte zu sammeln und die Wirtschaftsreform zu fördern. Er wehrt sich jedoch bisher mit Händen und Füßen gegen eine Spaltung der Partei. Keiner der rivalisierenden Flügel solle einen anderen ausschließen können.

Die Reformer

Das gerade können die Reformer nicht hinnehmen. Wie sollen wir, so sagen sie, die Wahlen gegen die erstarkte Opposition gewinnen, wenn Altstalinisten und Apparatschiks das Antlitz der Partei verdunkeln? Die Nachwahlen zum Parlament, die in vier Wahlkreisen unter demokratischen Bedingungen im Juli und August durchgeführt wurden, haben jedenfalls eine vernichtende Niederlage für die USAP-Kandidaten gebracht, während das oppositionelle Ungarische Demokratische Forum in einem Wahlkreis sogar mehr als 70 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte.

Nur eine ideologisch und personell vom Stalinismus unabhängige moderne Reformpartei sozialdemokratischen Typs habe eine Chance, vor dem Wahlvolk zu bestehen. (siehe Interview mit Mihaly Bihary). Die in Reformzirkeln organisierte Parteiintelligenz will ein grundsätzlich anderes Verhältnis von Staat und Gesellschaft, um Ungarn aus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise zu führen. Zu faulen Kompromissen sind diese Leute nicht mehr bereit.

In die Opposition?

Was wird nun werden? Spaltet sich der Reformflügel ab und läßt die Zentristen und Orthodoxen zurück? Werden die Orthodoxen ausgeschlossen, und wird damit die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen Reformern und Zentristen erhalten? Spaltet sich die Partei in drei oder sogar mehrere Teile? Gelassen lehnt sich der bekannte ungarische Ökonom Tomas Bacskai in seinem Sessel zurück: „Es gibt auch noch etwas anderes. Die Partei bleibt zusammen und bekommt bei den Wahlen 25 Prozent. Sie geht in die Opposition und hat Zeit, sich zu regenerieren.“

Dazu müßte nämlich, so das Kalkül, die bisherige Opposition die Regierung übernehmen und die unpopulären Maßnahmen einleiten, die bei der Wirtschaftsreform einfach notwendig sind. Anschließend hätte die USAP wieder eine Chance in einem demokratischen System.

Die Führungen der Oppositionsparteien wollen von einem solchen Planspiel jedoch nichts wissen. „Wir können doch nicht allein den Karren aus dem Dreck ziehen, in den ihn die USAP gesteuert hat“, heißt es in der Zentrale des Demokratischen Forums. Hier spekuliert man anders: Die Reformer verlassen die Partei, und bei den Wahlen wird eine Koalition zwischen dem Demokratischen Forum und den Reformern möglich.

Die Führung der Liga der Freien Demokraten, in der die noch vor Jahresfrist verfemten Intellektuellen, Schriftsteller, Freidenker, Alternativen, Ökologen versammelt sind, denkt mit Unbehagen an eine solche Möglichkeit. Politisch wegweisender erscheint einem Mitglied der Jugendbewegung FIDESZ eine sozialistische Partei, die für alle Oppositionellen offen ist. „Damit könnten auch wir uns anfreunden.“