Der „Neue Internationalismus“ soll erneuert werden

■ Ein Jahr nach IWF wollen entwicklungspolitische Initativen und Soli-Gruppen auf einem Kongreß Perspektiven des Internationalismus unter Rot-Grün diskutieren / Gegen den individuellen Run auf den Senatsgeldtopf / Braucht Berlin Landesamt für Entwicklungspolitik?

Fast genau ein Jahr ist es her, da war es das Diskussionsthema in Berlin - für einige Tage zumindest. Jeden abend waren Tausende auf den Straßen und bereiteten den versammelten Bankern und Finanzmagnaten dieser Welt einen aufregenden Empfang. Dritte-Welt-Gruppen, entwicklungspolitische Initiativen oder Lateinamerika -Komitees ernteten plötzlich große Aufmerksamkeit und angesichts von mehreren Tausend TeilnehmerInnen auf dem Gegenkongreß zum IWF-Gipfel war von einem „Neuen Internationalismus“ die Rede.

Um den jedoch ist es inzwischen längst wieder still geworden. Nun will eine Berliner Konferenz all die Gruppen, die damals maßgeblich die Anti-IWF-Kampagne getragen haben, zu einer Perspektivdiskussion wieder zusammenbringen. Unter der Fragestellung „Neuer Internationalismus und Rot-Grün eine neue Situation für internationalistische Arbeit?“ soll vom 13. bis 15.Oktober im Oberstufenzentrum Wrangelstraße diskutiert werden, wie unter den geänderten Vorzeichen in Berlin die entwicklungspolitische Arbeit weitergehen kann.

Zustande gekommen ist dieser Kongreß aus dem Bedürfnis, nicht mehr im eigenen, leicht abgestandenen Saft schmoren zu wollen. Ursprünglich hatten die Veranstalter, der Städtepartnerschaftsverein Kreuzberg - San Rafael del Sur in Nicaragua, einen Kongreß über Städtepartnerschaften geplant. Doch dann stellten die Organisatoren bei der Vorbereitung fest, daß es zu diesem Thema kaum etwas Neues zu sagen gibt. Andrerseits stießen sie immer wieder auf ein anderes Problem: AL und SPD haben zwar in ihrer Koalitionsvereinbarung hehre Grundsätze einer solidarischen Entwicklungspolitik beschlossen, konkret gefüllt wurde diese Koalitionsvereinbarung bisher jedoch weder von den Parteien, noch von den verschiedenen Gruppen. „Dabei“, so meint Udo Wolf, einer der Organisatoren der bevorstehenden Konferenz „könnte gerade die Entwicklungspolitik Berlins ein Lehrstück für diese Koalition werden. Denn anders als bei vielen Themen gibt es hier keine Altlasten zu bewältigen und keinen Zeitdruck“. Jetzt, so meinen die Veranstalter, müßten gerade auch die freien Gruppen aufpassen, nicht von den etablierteren, größeren Trägern „ausgebootet“ zu werden, die schneller reagieren und sich in der Senatsbürokratie besser auskennen. Ganz konkret könnten die Gruppen schon ins Hintertreffen geraten, wenn es im nächsten Jahr ums „liebe Geld“ geht. Rund 500.000Mark werden dann aus dem Senatstopf für entwicklungspolitische Gruppen vergeben. Die Konferenz soll daher auch ein erstes Forum bilden, auf dem über den Umgang mit diesen Geldern diskutiert wird und der individuelle Run auf die Geldtöpfe gestoppt wird. Zur Debatte gestellt werden soll auch, ob in Berlin ein Landesamt für Entwicklungspolitik sinnvoll wäre, das die offizielle Entwicklungspolitik des Senats koordiniert und Ansprechpartner für Gruppen wäre. Und nicht zuletzt sollen auf einer Podiumsdiskussion mit Politik-Prominenz von SPD und Grünen überlegt werden, welche Möglichkeiten beispielsweise Städte und Bundesländer haben, die Probleme der Dritten Welt öffentlich zu machen und auf eine verheerende Außenwirtschafts- und Rüstungsexportpolitik Einfluß auszuüben. Was auf der Konferenz auch in Hinblick auf eine mögliche rot-grüne Koalition im Bund diskutiert werden soll, hat bezogen auf das Treffen selber zumindest schon ein konkretes Ergebnis gezeitigt: die Kosten trägt Rot -Grün in Gestalt des Bezirksamts Kreuzberg.

Vera Gaserow