Das Gutachten im Tresor

■ Die SPD wirft Parlamentspräsident Wohlrabe vor, Gutachten zum kommunalen Ausländerwahlrecht zurückgehalten zu haben / Wohlrabe: Gutachten ist kein Gutachten

Nun ist der Gesetzentwurf gerade eingebracht, da taucht ein Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes (WPD) zum kommunalen Ausländerwahlrecht auf - nicht aus der Versenkung, sondern aus einem Stahlschrank im Rathaus. „Äußerst ärgerlich“, findet das der Fraktionsvorsitzende der SPD, Ditmar Staffelt, dessen Partei die juristische Stellungnahme in Auftrag gegeben hatte. „Das Vertrauensverhältnis zum Parlamentspräsidenten“ sei gestört. Dem warf Staffelt gestern vor, das rund 90 Seiten starke Papier fast zwei Monate lang unter Verschluß gehalten zu haben.

Vor zwei Jahren, im Juni, bat die SPD-Fraktion um eine Aktualisierung eines alten WPD-Gutachtens aus dem Jahre 1983. Sehr eilig hatte man es offenbar weder bei den Sozialdemokraten noch beim WPD. Abgesehen von einer Anmahnung letzten Winter, ließ Staffelt erst vor wenigen Tagen wieder beim WPD nachfragen. Dabei stellte sich nun heraus, daß die Juristen im WPD bereits vor zwei Monaten ihr neues Gutachten abgeliefert hatten, worin das kommunale Ausländerwahlrecht für rechtlich unbedenklich erklärt wurde. Das lag zwar dem Parlamentspräsidenten vor, ruhe seitdem jedoch, so Staffelt, in vierzigfacher Ausfertigung im Stahlschrank. Wohlrabe habe es für unvollständig befunden. Damit habe dieser eindeutig seine Kompetenzen überschritten. „Das ist ein Präzedenzfall, wenn der Parlamentspräsident dem WPD ins Handwerk pfuscht.“ Die SPD erwägt nun, über eine Änderung der parlamentarischen Geschäftsordnung Wohlrabes Amt stärker ins Gesamtpräsidium einzubinden. Es sei jahrzehntelange Praxis, je ein Exemplar sofort an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses und an die die auftraggebende Fraktion zu geben. Staffelt liegt zudem ein Vermerk des Leiters des WPD, Hert, vom 11. September vor. Der sah zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr, „jetzt noch das Gutachten für die SPD-Fraktion zurückzuhalten“.

Nach Auffassung von Wohlrabe ist das Gutachten allenfalls ein „Zwischenbericht“. Zwar beteuerte der CDU-Politiker mehrmals, dessen Inhalt nicht zu kennen; er monierte jedoch, daß die Stellungnahme des WPD weder für den 11.Oktober angekündigten Entscheid des BVG, noch die Argumentation der CDU/CSU-Fraktion berücksichtigt habe. Deshalb habe er mit dem Leiter des WPD vereinbart, diese Punkte noch einzuarbeiten. Die SPD selbst davon in Kenntnis zu setzen, sei überflüssig gewesen. „Der Bordfunk in diesem Haus funktioniert gut genug.“

Was immer die Gutachter berücksichtigt haben, sie kamen zu dem Schluß, daß sich die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts in Berlin „juristisch argumentativ begründen läßt“.

anb