piwik no script img

Rauh, herzlich, kanarisch

■ Hierro ist die kleinste und westlichste der sieben Hauptinseln des kanarischen Archipels. Wer heftige Stürme, eine strandlose Küste und ein bescheidenes gesellschaftliches Leben nicht scheut, kann sich hier...

Rauh, herzlich, kanarisch

Hierro ist die kleinste und westlichste der sieben Hauptinseln des kanarischen Archipels. Wer heftige Stürme, eine strandlose Küste und ein bescheidenes gesellschaftliches Leben nicht scheut, kann sich hier im Winter von den Strapazen des Sommers erholen.

Von

REIMAR PAUL

ierro im Januar. Nebel und Regenwolken wabern in den Bergen. Im Norden der Insel pfeift ein frischer Westwind. Die wenigen Reisenden, die aus der mitteleuropäischen Kälte hierher gefunden haben, verschlägt es unweigerlich an die Südspitze, nach La Restinga. Die Sonne bescheint das in den schwarzen Vulkansand gesetzte Dorf zumindest jeden zweiten Tag.

In La Restinga gibt es sechzig Häuser, sechs Kneipen, zwei winzige Einkaufsläden und ein Hafenbecken, in dem Dutzende bunter Fischerboote und ein paar andere Wasserfahrzeuge dümpeln. Die kleine Touristen- und Ausländergemeinde des Ortes zählt kaum mehr als 20 Personen. Carl, ein Schlafwagenschaffner aus Hamburg, ist schon zum vierten Mal hier. Unter dem Arm hat er stets Goethes Werther klemmen, aber auf dem Weg zu einem ruhigen Leseplatz läßt er sich gern für ein Schwätzchen aufhalten. Am liebsten redet er über Politik - vorzugsweise in der allabendlichen Diskussionsrunde in der Bar „Isleta“.

Die Kneipe wird von dem Fischer Manolo und seiner Frau Anita betrieben. In die Zeit unserer Anwesenheit fällt der vierte Jahrestag des Schiffbruchs, den Manolo und drei seiner Freunde erlitten haben. Acht Tage wurden sie damals vermißt, acht Tage trieben sie mit ihrem beschädigten Boot auf dem Atlantik, ohne Lebensmittel außer einem Kanister Wasser und ein paar Birnen, bis ein US-amerikanisches Frachtschiff sie aufnahm und nach Philadelphia brachte. Die Freudensfeiern auf Hierro nach Bekanntwerden der Rettung haben die Dabeigewesenen als die ausgelassensten der jüngeren Insel-Geschichte in Erinnerung.

ie Umgebung von La Restinga ist schwarz und rauh. Erstarrte Lavamassen, schroffe Felsen und kahle Bergkegel prägen das Bild. Nur ganz matt und von weitem kaum sichtbar besprenkeln einzelne Drachenbäumchen und Kakteen den dunklen Untergrund. Ein Strand existiert nicht. Außer im Hafenbecken kann man im ganzen Insel-Süden nicht ins Wasser gelangen. Nur in der Cala de Tacaron, zweieinhalb Wegstunden entfernt, ist das Planschen in flachen Felswannen möglich, wobei die Gischt der sich weiter unten brechenden Wellen für zusätzliche Berieselung sorgt.

Eine einzige Straße führt in die Berge und zu den anderen Orten. Neunhundert Meter oberhalb von La Restinga, meistens im Nebel versteckt, liegt El Pinar. Ein lichter Kieferwald ohne Unterholz erstreckt sich über die das Dorf umgebenden Berghänge. Durchbricht die Sonne einmal die Wolkendecke, wird auf dem weichen, nadelübersäten Waldboden ein faszinierendes Schauspiel von schnell wechselndem Licht und Schatten, von einander jagenden Figuren und Formationen geboten.

Das Insel-Innere ist grün, feucht und fruchtbar. Schafherden, sorgfältig aufgeschichtete Steinmauern und auch das wechselhafte Wetter erinnern an Irland. In den Tälern wird Wein angebaut. Im Nordwesten, in der Küstenebene von El Golfo gibt es Orangen-, Feigen- und Aprikosenbäume.

Die „Hauptstadt“ von Hierro ist Valverde. Mehr Dorf als Stadt, befinden sich hier die Inselverwaltung, der Busbahnhof, ein Postamt, ein Krankenhaus und ein Reisebüro. Wer sich allerdings abends und nachts öffentlich vergnügen will, ist in Valverde an der falschen Adresse. Nur in Ausnahmefällen geht es in dieser verschlafenen Stadt hoch her, nämlich beim Lucha Canaria, dem kanarischen Ringkampf. Zu Gast sind die Ringer von der Nachbarinsel Fuerteventura. Bereits am Nachmittag sind die Bars gut gefüllt. Es wird gefachsimpelt, prognostiziert, getrunken, geraucht. Und je weiter die Zeit voranschreitet, desto erregter und erwartungsfroher wird die Stimmung. Ein großer Teil der knapp 7.000 Inselbewohner ist auf den Beinen, nahezu die Hälfte der tausend zugelassenen Autos unterwegs. Aber Geduld ist angesagt. Um 22 Uhr, der auf den Plakaten ausgedruckten und an den Vortagen von Lautsprecherwagen über die Insel trompeteten Anfangszeit, tut sich in der zeltförmigen Sporthalle noch nicht viel. Erst kurz vor Mitternacht geht das eigentliche Ereignis los: Umjubelt und beklatscht laufen die Mannschaften ein.

Angefeuert werden natürlich vor allem die einheimischen Cracks. Doch aller Lokalpatriotismus nützt nichts, Hierro verliert mit 7:8. Aber no importa, das ist nicht wichtig, denn richtig rund geht es ohnehin erst später in den Kneipen und auf der Straße. Bis in den Morgen herrscht in Valverde, wo ansonsten kein Geräusch die Nachtruhe stört, feucht-fröhliches Treiben.

urück in La Restinga erleben wir ein Großereignis ganz anderer Art. Drei Tage lang tobt ein prachtvoller Südsturm, der Hierro fast völlig von der Außenwelt abschneidet. Flugzeuge können weder starten noch landen, das Fährschiff weder an- noch ablegen, die Telefonverbindungen sind unterbrochen und gelegentlich fällt auch der Strom aus. Für die Fischer ist das Unwetter eine Katastrophe: Sie können nicht nur nicht rausfahren, sondern müssen auch befürchten, daß ihre ans Ufer gezogenen Boote von den gewaltigen Wellen zerschmettert werden.

Einträglich ist das Geschäft dieser Tage nur für die Kneipenwirte. Beim Dominospielen und allgemeinen (zur Weltlage), wie auch speziellen (zum Unwetter) Erörterungen läßt sich gut das breite Brandy-Angebot durchprobieren. Nebenbei knabbert man schon an der einen oder anderen Portion tapas. Und die regen den Appetit auf das eigentliche Abendessen, Tintenfisch zum Beispiel oder gekochte Kartoffeln mit roter Knoblauch-Tunke, erst so richtig an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen