MARCIA PALLY

 ■  Short Stories from America, heute: ein Warenhaus-Katalog

Die New Yorker Journalistin Marcia Pally ist eine in Amerika bekannte Feministin und zugleich Chef-Filmkritikerin von „Penthouse“. Sie schreibt unter anderm für „The Village Voice“, „The Nation“, „Taxi“ und die „New York Times“. Und einmal im Monat in der taz, was die Europäer über den großen Bruder wissen sollten.

Vor kurzem sprach sich der kalifornische Abgeordnete Nolan Frizelle gegen eine Gesetzesvorlage zur Kontrolle der Luftverschmutzung aus. An die Adresse der Anwohner gerichtet meinte er: „Wenn die Luft ihnen zu verschmutzt ist, sollten sie wegziehen. Die Regierung sollte sich nicht mit diesen Problemen auseinandersetzen und sie ziehen lassen.“ Ich freute mich, das zu hören. Wenigstens einige unserer politischen Führer haben begriffen, daß wenn wir uns des aufmüpfigen Gesindels nicht entledigen und mit der Geschäftswelt nicht Hand in Hand arbeiten, wir nie in einem so angenehmen Land leben werden, wie es die Japaner tun.

Ed Scott vom Fund Raising System ist einer von denen, die das verstanden haben. Seine Aids-Stiftung für Kinder entspricht genau dem unternehmerischen Geist, den Amerika nötig hat. Mit Anzeigen im Wirtschaftsteil der überregionalen Zeitungen wirbt er für ein profitables Geschäft: Die AIDS-Stiftung bietet, zum Preis von 6500 Dollar, zweihundert Sammelbüchsen für aidskranke Kinder. Die Sammelbüchsen müssen von den Käufern dann an „gewinnmaximierende Kaufhäuser“ verteilt werden, in fünf bis sechs Wochen enthält jede Büchse 40 Dollar. Von den insgesamt 8000 Dollar müssen 500 an die AIDS-Stiftung gezahlt werden. Die übrigen 7500 verbleiben dem Büchsenaufsteller, der zunächst also nur einen Gewinn von 1000 macht, aber mit der Zeit den vollen Profit von 7500 Dollar erhält. Damit gewinnt der Büchsenaufsteller jährlich 64.500 Dollar, die aidskranken Kinder bekommen 6000 im Jahr.

Scotts Erfolg demonstriert, daß es mit etwas Frechheit und Ausdauer möglich ist, aus der sauersten Zitrone - sogar aus AIDS - süße Limonade zu machen. Die Firma Smith & Wesson entschied sich zum Beispiel angesichts der amerikanischen Panik vor Gewalt und Kriminalität, eine neue Handpistole für die Dame - eine elegante, eisblaue Pistole mit passender Tasche, in die mit verschnörkelter Schrift der Name „Lady Smith“ eingraviert ist - auf den Markt zu bringen. Wiraufhin die Firma FIE aus Florida mit einem Modell namens „Titan Tigress“ konkurrierte - eine 25 Kaliber-Pistole mit goldener Tasche und elfenbeinernem Griff. „Bonnie and Clyde“ heißt das Pistolen-Set für sie und ihn, das das Unternehmen Charter Arms anbietet. Als dann das 'Lady's Home Journal‘ für „Lady Smith“ warb, konnte sich Smith & Wesson vor Anrufen nicht mehr retten. Wöchentlich erkundigten sich 500 Konsumentinnen nach dem neuen Produkt: Wenn du nicht die Zeitung gelesen hast, weißt du nicht, was Du brauchst.

Auch Verbrechen bietet die Möglichkeit, “... Limonade zu machen.“ Die Firma 'Sidewalks‘ aus Manhattan organisiert ganz besondere Rundgänge durch New York. Unter der Bezeichnung „Leona Takes Manhattan“ bietet sie Stadtführungen auf den Spuren des Lebenswegs der Leona Helmsley an. Leona ist die Gattin des kriminellen Grundstücksmaklers Harry, war Inhaberin von Aktienkapital seiner Hotelkette, und wurde verhaftet. Zu den Sehenswürdigkeiten des Rundganges gehört das Appartement, in dem sich Leona und Harry kennenlernten, das Restaurant, in dem er ihr versprach, sie zu heiraten, das Wohnhaus von Harrys Exfrau und einige der Läden, in denen Leona ihr zusätzliches Taschengeld ausgab.

Auch amerikanische Spielzeugfabriken haben schnell herausbekommen, wie sich aus Verbrechen Geld machen läßt. „Praise the Loot“ (Ehre den Pfennig“) heißt eine neues Brettspiel, Kostenpunkt 19 Dollar. Der Werbeslogan dazu: Deine Chance, der beste TV-Evangelist zu werden! Ziel des Spieles ist, mit sechs Millionen Dollar in den Himmel zu kommen. In einem konkurrierenden Spiel 'Fleece the Flock‘ (Schröpfe die Menge) kaufen die mit Kollekten ausgerüsteten Spieler Industrieparks, Fernsehstationen und Schallplattenfirmen auf und müssen gleichzeitig versuchen, ihre Gegenspieler - Andersgläubige - zu ruinieren.

Der amerikanische Geschäftsgeist hat nie halt gemacht vor Krankheit und Verbrechen, auch vor vollkommen nutzlosen Produkten schreckt er nicht zurück. Dazu gehören zum Beispiel Rundgänge durch New York unter dem Motto „A Tour named Jackie“, die einen Besuch in einem Second-Hand -Geschäft miteinschließen, in dem die ehemalige Kennedy ihre alten Klamotten verkauft, und die Besichtigung des Krankenhauses, wo Jackies letztes Lifting vorgenommen wurde. Andere Stadttouren schließen Beverly Hills East mit ein, die Gegend, wo die Filmstars wohnen.

Das erinnert mich an das neue Geschäft von Arthur Gross. Sein Unternehmen Beverly Hill Trash bietet an: handverlesener Müll aus 240 Tonnen täglichem Luxus-Abfall, verpackt in saubere, durchsichtige Plastiksäcke für 4,95 Dollar pro Unze. Ich packe aus: Leere La Pouche-Flaschen (ein Parfüm für Hunde, das in den USA für 20 Dollar die Unze verkauft wird), das Hochzeitskleid eines Hundes, unter Tränen bei der Scheidung ausrangiert (100 Dollar für das Kleid, den Schleier nicht inbegriffen - aber welcher Hund würde den Weg zum Altar ohne einen Schleier beschreiten?), ein Hundedinnerjacket vom letzten Jahr (48 Dollar) und aus der Mode geratene Hundetrenchcoats (30 Dollar für einen falschen Burberry-Mantel).

Obwohl es sich hierbei um ein Musterbeispiel amerikanischer Phantasie handelt, könnte Beverly Hill Trash finanzielle Probleme bekommen: Der Sprecher einer der Szene-Läden in Los Angeles, der den Müll verkauft, sagte: „Das Problem ist, daß für uns das Produkt nicht ungewöhnlich genug ist.“ Die Riverside Ice Company hat es da vielleicht besser: Für 1000 Dollar pro Tonne bietet sie den sonnengebräunten Kaliforniern Eisschnee für White Christmas an. Auch der Chic von Glasnost steigert den Umsatz. In der Perestroika -Abteilung des Kaufhauses Bloomingdale werden altmodisch schwere sowjetische Uhren verkauft und grobkörniges Roggenbrot für 6 Dollar, das täglich aus der Sowjetunion importiert wird (für die amerikanischen Juden neue Ware zum in die UdSSR zurückschmuggeln). Das Brot ist, so denke ich, eine ausgezeichnete Grundlage für die neue Erfindung der Universität von Wisconsin: eine Käseimitation aus Erdnüssen, die einen ansehnlichen Profit verspricht. Auch die Universität Washington arbeitet nach dem Prinzip, daß es nichts gibt, was nicht zu verkaufen wäre: Sie richtet einen Lehrstuhl für fast-food ein.

Auch ausländische Unternehmen haben entdeckt, was der amerikanische Markt sich alles bieten läßt. Eine österreichische Firma verkauft zum Beispiel Teile des Stacheldrahtzauns, der vor kurzem von der österreichisch -ungarischen Grenze entfernt wurde. Ein circa zwanzig Zentimeter langes Zaunstück kostet 38 Dollar, zu beziehen bei The Trend Connection. Ich bezweifle jedoch, daß nichtamerikanische Unternehmen in der Lage sein werden, mit der neuesten im Viererpack erhältlichen Hörkassette über Die Geheimnisse des Hunnenkönigs Attila zu konkurrieren. Der Verleiher Nightingale-Conant aus Chicago wirbt dafür so: „Dieses Programm präsentiert die Weisheit, den Geist und die Prinzipien Attilas auf dramatische Weise und setzt sie zugleich in Bezug zum modernen Geschäftsleben“. Sowas Schönes gibt's nicht mal in Japan.

Aus dem Amerikanischen von Claudia Becker