In Braubach braut sich Ärger zusammen

Nach der Kritik an der Blei- und Silberhütte Braubach ist das Städtchen gespalten / Kritiker erhalten Drohungen und anonyme Anrufe / Die Sanierung der Bleischleuder beginnt nur sehr schleppend unter dem Druck der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen  ■  Von Joachim Weidemann

Braubach/Mainz (taz) - „Das war der Gipfel“, ereifert sich der Unbekannte am Telefon. Ein anderer Anrufer wiederholt monoton: „Lassen Sie das sein!“ Bei Andrea Stehl (29) im rheinland-pfälzischen Braubach häufen sich anonyme Anrufe, Drohungen und Einschüchterungen. Die Frau hatte ein Sakrileg begangen: Sie hat die Blei- und Silberhütte Braubach (BSB) kritisiert und, so der Vorwurf, „die Presse mobilisiert“ und in den verschlafenen Ort geholt. Die BSB - Brötchengeber für etwa 140 Braubacher Familien - verseucht Braubachs Wasser und Luft mit Schwermetallen wie Blei und Kadmium - bislang ohne große Aufregung. Erst die „Nestbeschmutzung“ von Frau Stehl sorgt jetzt für Empörung und eine Spaltung in der Gemeinde.

„Viele Familien sind mit der BSB großgeworden“, sagt Braubachs nebenberuflicher Bürgermeister Albert Doerschug (SPD). „Die sehen den Betrieb nicht so dramatisch.“ Die Stimmung in dem 4.000-Seelen-Städtchen beschreibt der Bürgermeister als „zumindest gereizt„; die Bürger spalten sich in zwei Lagern. Das Lager der Winzer und Gastronomen unterstellt Andrea Stehl vor allem, daß sie „das Geschäft mit den Feriengästen vermasselt habe“: Seitdem die Medien nach Braubach gekommen seien, „setzt jeder die Stadt mit Bleivergiftung gleich“. Doerschug sorgt sich ernsthaft um den guten Ruf: „Müssen die Medien denn immer gleich von 'Gift‘ reden?“

Sie müssen. Andrea Stehls Sohn, der achtjährige Kim -Benjamin, ist ein Opfer dieses Gifts. Als 159 Schüler der Braubacher Marksburg-Schule untersucht wurden, fanden die Ärzte in Kim-Benjamins Blut eine alarmierende Bleikonzentration: 27 Mikrogramm pro 100 Milliliter. Andere Kinder liegen mit ihren Werten noch höher, bis zu 58 Mikrogramm. Andrea Stehl: „Das Blei setzt sich in den Knochen ab und kann in die Nieren wandern.“

Ab 25 Mikrogramm Blei will das Bundesgesundheitsamt Gesundheitsschäden nicht auszuschließen. Und Kim ist erst acht.

Die Braubacher Bürger

sind gespalten

Die Konsequenzen des Bleiskandals zeigten sich schnell: Beim Braubacher Winzerfest wollte der örtliche Verkehrs- und Verschönerungsverein (VVV) den Weinstand der Stehls nicht mehr haben. Der Antrag für den Stand wurde abgeschmettert, angeblich wegen Platzmangels. Im Jahr zuvor war reichlich Platz vorhanden. VVV-Vorsitzender Kunz droht unterdessen spöttisch, die Auseinandersetzung habe noch gar nicht richtig begonnen.

Während den Stehls Drohgebärden und offene Ablehnung entgegen tritt, machen andere Braubacher der Familie Mut. Der Wirbel, den die Mutter zweier Kinder verursachte, zeitigt gegenwärtig aber noch andere Folgen. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen die BSB. „Unter dem Druck dieser Ermittlungen haben die Betreiber mit verschiedenen Sanierungsmaßnahmen begonnen.

So verpflichteten sich die BSB-Eigner, wie das Mainzer Umweltministerium der taz bestätigte, endlich eine neue Anlage zur Abwasserreinigung zu installieren. Bisher gab es dort nur ein Asbestbecken. Folge: Im nahen Bach wurden Schwermetalle satt festgestellt, die sich im Schlamm abgesetzt hatten.

Kadmium, Arsen und Blei fallen auch auf einer Halde an, wo Schlacke aus dem Akku-Recycling des BSB abgelagert werden. Die Halde ist nicht abgedichtet und muß nach Ansicht von Kritikern sofort stillgelegt werden. Das Umweltministerium will am 9. oder 10.Oktober über den Braubacher Gifthügel beraten. Entscheidungsgrundlage ist dabei ein Gutachten, das das Ministerium noch zurückhält.

Laut Bund Naturschutz spart die BSB durch ihren Gifthügel „Millionenbeträge“, die sie eigentlich für die „ordnungsgemäße Deponierung der Schlacke als Sondermüll hätte bezahlen müssen“. Jetzt wird befürchtet, daß Mainz die Halde zwar „schließen“ will, aber erst in zwei, drei oder vier Jahren.

Neben der Halde sind auch die Luftbelastungen durch die Emissionen der BSB ein Streitpunkt. Eben diese führten offenbar zum hohen Blutbleigehalt der Kinder. Schwermetalle wurden sowohl im Schwebestaub, als auch im Staubniederschlag in der Stadt gemessen.

Der BUND wirft Betrieb und Behörde vor, bei den Messungen der Staubbelastung manipuliert zu haben, um die tatsächlichen Werte zu unterdrücken. Indiz: In Braubach gebe es nur fünf Kontrollpunkte, statt der 81, die die Technische Anleitung (TA) Luft vorschreibt.

Währendessen leidet die Stadt weiter unter der Plage Blei. Die Braubacher müssen es sich inzwischen gefallen lassen, daß man ihnen „Nutzungsbeschränkungen“ für die Hausgärten auferlegte. Umwelt-Staatssekretär Römer schlug sogar vor, daß man die Weinberge nahe der BSB aufkaufen oder gegen anderes Land tauschen könne. Den Grünen-Abgeordneten Horst Steffny: „Die Winzer weichen - und die Bleihütte bleibt“.