Menschenrecht auf Konsum

■ Für „Dienstleistungsabende“ immer und überall!

Endlich ein Stück Freiheit! Die jahrelange Unterdrückung wenigstens ein bißchen abgestreift! Nur eine alte Garde von starrköpfigen Funktionären verschließt sich noch den längst überfälligen Reformen, die in demokratischen Ländern Europas längst Usus sind - mit einer Verve und einem Pathos als gelte es, die Ausreisewelle aus der DDR zu kommentierten, haben Rundfunk- und Fernsehjournalisten am Donnerstag abend den ersten langen Einkaufsabend begleitet. Wie Streiter für ein Menschenrecht fochten sie für die Abschaffung des „antiquierten Ladenschlußgesetzes“. Verwehrt doch dieses, nur noch von einigen verkalkten Gewerkschaftern hochgehaltene Paragraphenwerk den Bundesbürgern seit Generationen ein wesentliches Grundrecht: das Recht auf freien Einkauf jederzeit. Nicht um die zwei abendlichen Einkaufsstunden ging es deshalb bei diesem Donnerstag, der unter dem Mogeletikett „Dienstleistungsabend“ Premiere feierte. Es ging - wie fast immer wenn Männer etwas kommentieren - um Höheres: ums Prinzip.

Und das Prinzip ist gut und schön. Da stimmt ein jeder zu, der im südlichen Urlaubsland abends um neun noch das frische Baguette und die Flasche Rose einkauft, und sich anschließend zu Hause über die bornierten Deutschen ärgert, die - völlig am Trend der Zeit vorbei - auf verstaubten Restriktionen beharren. Nur dieses so schick und modern klingende Prinzip des freien Konsums für freie Bürger operiert nach dem gar nicht neuen Motto: „Heiliger Sankt Florian, zünd‘ das Haus des Nachbarn an.“ Denn all diejenigen, die jetzt den langen, angeblich streßfreien Einkaufsabend fordern, achten natürlich sorgsam darauf, daß sie selber rechtzeitig Feierabend haben.

Kein Mensch hat es bisher als unannehmbare Einschränkung empfunden, daß die gesamte Ärzteschaft feste Sprechstunden hat und sogar mittwochs die Pforten gänzlich schließt. Niemand regt sich darüber auf, daß viele Postschalter seit diesem Jahr erst eine Stunde später öffen, ganz selbstverständlich nimmt jeder Autofahrer hin, daß seine KfZ -Werkstatt um 17 Uhr das Garagentor schließt und bei der Krankenkasse oder im Büro des Klempnermeisters schon um 16 Uhr Feierabend ist. Wenn also schon „langer Abend“, warum dann nur für die VerkäuferInnen? Nur damit endlich mehr Männer in der Supermarktschlange stehen? Die konnten nämlich - wie unser Bundeswirtschaftsminister Haussmann - bisher nämlich allein deswegen nicht den täglichen Familieneinkauf erledigen, weil nach ihrem aufreibenden Arbeitstag die Geschäfte - leider, leider - immer schon zu waren.

Vera Gaserow