DAS BUCH ZUM FILM

■ Dreimal Einstürzende Neubauten im Quartier Latin

I. Prolog

Donnerstag, acht Uhr. Tür auf, Kasse auf, Menge rein, Kasse zu, Menge raus. Saubermachen. Freitag, acht Uhr. Tür auf, Kasse auf, Menge rein, Kasse zu, Menge raus. Null Uhr. Menge rein, Menge raus, Kasse zu, Kasse auf, Menge rein, Kasse zu, Menge raus. Saubermachen. Samstag, zwei Uhr 30.

Spätvorstellung. Die Vorgruppe entfällt. Wer eben noch gemütlich am Tresen stand, sich vorbereitend abzufüllen, wird zum späten Dienstleistungsabend abberufen: Fütter mein Ego. Der Film läuft bereits, ohne Vorspann, die Werbung lief Wochen vorher an, die Listen für Freunde der Fünf Freunde sind schon lange voll, eng beschriebene Blätter und ein Bierdeckel mit Namen über Namen. Nicht alle stehen drauf. Aber das macht nix für die richtigen Namen.

Blixa Bargeld, du Lieblingskind der Feinschmecker, der Edelzwicker, der Weinsteinsucher, die, der Alten Meister überdrüssig, neue Perversionen suchen, um ihr Gütesiegel aufzudrücken: Prädikat wertvoll, jugendfrei. Die sich selbst bespiegeln in der glänzenden CD, dem Haus der Lüge, während die Lügenbarone sich am eigenen Schopf aus der Verantwortung ziehen: Meint ihr nicht, wir könnten unterschreiben, auf daß uns ein bis zwei Prozent gehören und Tausende uns hörig sind... Wir könnten, aber...

Der nachfolgende Crash im Prolog ist dann für den ganzen Rest zuständig: für die Ehrlichkeit, die Moral und die Tugend des Böse-Buben-Tums mit dem Preßlufthammer im Keller.

II. Katalog

Mephistopheles, der gute Bekannte, naht, doch Blixa-Faust und seine Mannen winken ihm heute ab, so pudelwohl fühlen sie sich im Underdogreservat, wo deutsche Unwort-Archaik nach Herzenslust und mit Bedacht natürlich wuseln darf (Dies ist der Keller ... hier lebe ich ... dies ist ein Schoß...). Dabei sind sie doch schon seit längerem dem Übungskeller entstiegen, als Vorzeigeavantgarde im Export, als perfekt sich selbst imitierender Backgroundchor bei Zadek, mobiles Einsatzkommando, zuständig für die Getto -Authentizität. Die Neubauten sind die beste Coverversion der Neubauten. Noch beim Durchmarsch durch die Institutionen verstehen sie ihr Metaphernhandwerk und kodieren sich je nach Laune (Fernsehblixa der arme Poet, dem das Telefon abgestellt, und der deshalb zu Zadek einberufen worden ist).

Im Haus der Lüge bleibt der Ein- und Absturz aus. Trotz aller Kellerkinderromantik wird zum ersten, zum zweiten, zum dritten Konzert musiziert - süßer Baß, kalkulierte Krachsynthese, massiver Dancefloor-Beat, Schütteltest für Punks. Muskulöser Mufti, der letzte Bauarbeiter, reißt die Faust hoch zum Soliakt. Für was? Keine Störsender in Sicht. Die Spezialpercussion, der Einkaufskorb, das Federngestell, auf dem Unruh mit dem Bohrer herumgeigt - engagierte Musikinstrumente, taktexakt im Bereitschaftsdienst wie der Sampler auch und Blixa Bargeld, wenn er singt.

III. Dialog

Lyrics professionell vortragen vor einer Meute, die jetzt endlich um ein Uhr nachts auch noch zum Zug kommen will, ist Schwerstarbeit. Schwerstarbeit, den richtigen Ton zu treffen, wenn irgendwelche Schreier ihr Maul nicht halten können. „Du gehst mir echt auf die Nerven“, sagt Blixa, und hebt wieder an, die perfekte Wiederholung nach dem gerissenen Film. Am Schluß verbeugen sich die Darsteller, gehen ab, und das Licht geht an. Später, vor dem Eingang, fetzen zwei Frauen das verregnete Plakat mit dem „Bargeld“, einem elektrisierten Strichmännchen, vom Pfeiler, für zu Hause.

Dorothee Hackenberg