ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Limousines! Oranges! Stars! Moons! Jeeps! Glaciers!

Mehr als ein Jahr ist ins Land gegangen seit der Veröffentlichung der ersten Sugarcubes-LP. Arg viel ist inzwischen geschrieben worden über die isländische Gruppe, die „süßesten Eisbärchen, seit es Zuckerwürfel gibt“ (ME/Sounds). Das gilt insbesondere für Sängerin Björk Gudmundsdottir, jene „laszive Pop-Sirene“ (Stereoplay) mit den „teuflischen Eskimoaugen“ (ME/Sounds), ein „Gör“ (Prinz), das „kindlich erotisch und fremdartig exotisch“ (tip) zugleich aussieht, unter Absonderung von „kernigem Geröhre“ (Prinz) mit „nichts als Unfug im Hirn“ (tip) auf der Bühne einen „zackigen Indianertanz“ (ME/Sounds) aufführt, und obendrein noch über einen „Schmollmund“ verfügt, „bei dem der letzte Macho im Todeskampf freudig aufröchelt“ (Die Zeit).

So ging es anfangs wochein, wochaus. Nachdem die erste „Befummelungswelle“ (taz) etwas abgeebbt war, hatte das „isländische-Anarcho-Kollektiv“ (ME/Sounds) sich zeitweilig wieder ganz „hinter die 7 Geysire“ (Miss Vogue) zurückgezogen, nach jenem legendären Eiland, das „wie ein Sahnehäubchen“ (ME/Sounds) im Nordatlantik liegt, um dort „zwischen Fjorden und Mitternachtssonne“ (ME/Sounds) wieder etwas Seelenfrieden zu finden. Aufgescheucht wurde die Band dabei nur immer wieder von trinkfreudigen Journalisten, die („Isländer trinken nun mal gern“ (ME/Sounds)) sich die Reykjaviker Nacht um die Ohren schlugen, nicht ohne mit neuer einfallsreicher Björk-Poesie („Lolita mit dem Eskimo -Appeal“ (Tempo), „Ronja Räubertochter“ (Wiener), „Pippi Langstrumpf mit dem Eskimo-Charme“ (Miss Vogue), „Nabokovsche Lolita-Kindfrau“ (Zitty), „sieht aus wie 15, ist aber 22“ (Tempo) im Gepäck nach Hause zu kommen.

Kaum ist die Björk-Hysterie anderen Sensationen gewichen, kaum sind die Isländer, die, wie man hört, „total spinnen“ (Bravo), raus aus dem gröbsten Rummel, da steht auch schon die zweite LP ins Haus. Und? Was hat er „uns“ (Stern) heute noch zu sagen, dieser „bizarre Pop-Rock“ (Spiegel), die Offenbarung von gestern? Was ist das Schicksal der „Hoffnung der Welt“ (Die Zeit) ein Jahr nach ihrem fulminanten Abschuß in den Pophimmel? „Bezirzt“ (Me/Sounds) Björk, jenes „kleine Iglu-Sexmonster“ (ME/Sounds), das durch „animalisches Grunzen und Glubschen“ (Zitty) seinen Begierden Ausdruck zu verschaffen weiß (wenn es nicht gerade „kiekst, plärrt, schrillt und psalmodiert auf Teufelkommraus“ (Die Zeit), erneut die ganze pophörende Welt mit „heißem Iglu-Sex“ (ME/Sounds)?

Nur der Allmächtige weiß, was das wieder geben wird im Schreiber-Lager. Vermutlich ein Nachlauf mit halber Kraft. Die Sugarcubes selbst aber gehen, obwohl immer noch im Independent-Lager beheimatet, eindeutig aufs Ganze. Das große Faltbild zeigt sie ganz in Weiß, lässig und im internationalen Flughafenstil in irgendeiner Lounge lungernd, Tennissocken an den Füßen, Kunstschnee im Haar. Das sind nicht mehr die frischwangigen ehrlichen Häute von damals, das sind richtige Popstars! Freunde des Cocktails, bekennende Rock'n'Roll-Leben-Leber. Die haben's geschafft und wollen's nochmal schaffen. Mit dem, was sie nun mal können. Geblieben ist der manische Wechselgesang zwischen Björk und Einar Örn Benediktsson (die männliche Stimme noch mehr am Rande des Überschnappens als die weibliche), das seifenblasenartige Schweben der Songs im Rock-Rahmen. Geblieben ist auch, daß es in diesen Liedern auf wohltuende Art und Weise um nichts geht, daß nicht die Welt gerettet werden soll und kein Sinn die reine Freude an den energisch ausgestoßenen Spleen-Wörtern trübt. „Limousines! Oranges! Stars! Moons! Jeeps! Glaciers!“ Eine Erinnerung an Glam-Rock -Zeiten, als Marc Bolan sang: „I drive a Rolls-Royce cause it's good for my voice.“

Die abgedruckten Texte, die mit kleinen Zeichnungen wie aus der Chemiestunde oder dem Aufklärungsunterricht unterlegt sind, erleichtern den Einstieg in die glitzernde Welt der Sugarcubes. Sie illustrieren das wilde Treiben anorganischer Sexmoleküle, die durch den Raum schwirren, bis der große Popmund sie aufißt: „So eat a moment, a person, an apple, a feeling, eat a rockband, I won't complain but...“

Thomas Groß

The Sugarcubes: „Here Today, Tomorrow Next Week“ (One Little Indian/RTD)