Unter der Asche Sterndiamanten

■ Mit der polnischen Ministerin für Kultur und Künste, Izabela Cywinska, sprachen Thomas Kornbichler und Jan Stanislaw Skorupski

Seit dem 12. September 1989 gibt es in Polen eine neue Regierung. Es handelt sich um die erste, nicht von Kommunisten geführte Regierung im Ostblock. Einzige Frau im Kabinett von Mazowiecki ist Izabela Cywinska. Sie ist Philosophin und Regisseurin. Izabela Cywinska, 1935 geboren, hat lange in Posen als Theaterdirektorin gearbeitet. Während des Ausnahmezustands war sie in Polen von Dezember 1981 an interniert. Sie kennt die Verhältnisse im westlichen Ausland und in Sowjetrußland.

Thomas Kornbichler (Kulturhistoriker und Psychologe) und Jan Stanislaw Skorupski (in Berlin lebender polnischer Dichter) führten das Gespräch mit der neuen Kulturministerin.

Jan Stanislaw Skorupski: Frau Ministerin, ich möchte Sie mit dem polnischen Dichter Cyprian Kamil Norwid, der von 1821 bis 1883 gelebt hat, fragen: Wieder von Dir ab, wie von einem Kienspan

Rings umher fallen angebrannte Fetzen

Brennend, Du weißt nicht, magst Du f r e i sein werde

Oder, was D e i n ist, soll verloren gehen

Und wird nur Asche bleiben und Unstet

Abgründiges Gewitter - oder bleibe

Unter der Asche glänzender Sterndiamant

Der ewigen Siege Morgendämmerungen

Die Frage des Dichters, aktuell zu seinen Lebzeiten und nachher in der Zeit der ruhelosen Geschehnisse in Polen bis nach dem Zweiten Weltkrieg, fragt nach dem Sinn der polnischen Geschichte. Jerzy Andrzejewski schrieb dann den Roman „Asche und Diamant“. Andrzej Wajda drehte nach der Vorlage dieses Romans einen Film. Aber er änderte den Schlußteil des Romans, ließ den Haupthelden, Maciek Ghelmicki, auf einen Müllhaufen werfen, sicherlich voraussehend, daß wir eigentlich bis zum jetzigen Moment in diesem Müll stecken.

Sehen Sie, Frau Ministerin, ein Ende der Epoche dieses Müllhaufens?

Izabela Cywinska: Als Sie dieses schöne Gedicht von Norwid aufzusagen anfingen, dachte ich gleich an das Finale, an die urweise Frage und daran, daß Sie damit ins Schwarze getroffen haben. Mir scheint nämlich, daß alle, die heute den Entschluß gefaßt haben, an der Entreprise - wie man es in der Theatersprache bezeichnet - von Mazowiecki teilzunehmen, daran glauben, daß der Diamant und nicht nur Asche übrigbleibt. Daß es das Ende des Müllhaufens ist, dessen bin ich sicher. Aber ob dieses Ende gleichzeitig eine Verwandlung in einen wunderschönen Zaubergarten bedeutet, das weiß ich nicht. Denn den Müll verstehe ich auch als moralische Kategorie. Auch wenn das Vorhaben politisch erfolgreich ist, was am schnellsten realisiert wird - auf diesem Gebiet ist schon sehr viel geschehen -, so steht uns aber noch die schwierige ökonomische Aufgabe bevor. Und noch schwieriger ist meiner Meinung nach das moralische Problem, das heißt das umfassende Problem der Wiedergeburt unserer ganzen Nation. Zu dem hohen Diapason haben Sie mich angeregt, weil Sie mit Norwid angefangen haben.

Ich dagegen habe den ganzen Tag lang organisatorisch -finanzielle Angelegenheiten besorgt. Ich unterhielt mich mit sehr interessanten Leuten, jedoch war es uns nicht erlaubt, weiter, umfassender zu denken, wie es einem Humanisten eigentlich geziemt.

Im Moment sind wir alle von solchen kleinen Tätigkeiten in Anspruch genommen, die dann einmal in Zukunft weiteres und größeres Wirken erlauben werden. Man muß einfach diesen Müllhaufen wegräumen. Ich bin eine große Optimistin. Ihr Vergleich mit dem Müll hat mir sehr geholfen. Die ganze Zeit behaupte ich nämlich, daß für uns sogenannte stille Reserven bestehen. Es wird behauptet, ich sei eine Selbstmörderin (Kamikadze), die Regierung überhaupt sei eine Selbstmörderregierung. Ich antwortete darauf: Es ist nicht wahr.

Wir haben eine Riesenchance - wenn die Nation sich nicht entrüstet, wenn die Nation es aushält. Und alles weist darauf hin, daß sie es aushalten wird, denn wir haben vielleicht sogar allzu große, allzu verbindliche - Beweise einer großen Opferwilligkeit. Es gibt Anzeichen dafür, daß es diese Opferbereitschaft geben wird. Gestern war ich gerührt, als ich hörte, daß Bauern aus verschiedenen Gebieten von Polen gegen Kredit Abgaben anboten...

Der polnische Bauer, der nie Sozialist wurde, kann rechnen. Es ist ein herrliches Zeichen für die Regierung von Mazowiecki.

Ich setze voraus, daß es stille Reserven für uns gibt, zwar nicht in allen Bereichen - denn in den Bereichen, die schon zusammengebrochen sind, dort gibt es vielleicht sie nicht mehr -, aber in solchen wie zum Beispiel der Kultur, also in meinem Bereich, da kann man schon jetzt sehr viel ohne Geld machen, indem man einfach Ordnung schafft, den Leuten behilflich ist, ihnen hilft, frei zu sein. Sie sollen über sich selbst entscheiden. Auf diese Weise werden Möglichkeiten für schöpferische Tätigkeit geschaffen, die die bisher bestehenden weit übersteigen. Dabei bin ich der Meinung, daß, im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsbereichen, in denen im Laufe der letzten 45 Jahre sehr viel verdorben wurde, für die polnische Kultur viel getan wurde. Ich kenne die westliche Kultur, und ich muß sagen, daß ich den Wunsch hege - und diese Chance steht mir offen - ein Modell zu schaffen, das eine Mittelposition einnimmt. Es wird sich nicht danach richten, was bei uns schon vorgekommen ist. Dabei werde ich mich aber bemühen, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten.

In der Zeit, in der bei uns schon einmal Reformen realisiert wurden, ich ich daran nur als Zuschauerin und Direktorin eines kleinen Theaters teilnahm, wunderte ich mich, wieso nach all den Jahren unserer Fehler und Entstellungen (was eine sehr behutsame, allzu behutsame Bezeichnung ist) die gleichen Fehler, die im Westen einmal begangen wurden, von uns jetzt wiederholt werden. Ich habe ungeheure Angst davor. Ich wünsche mir sehr, dies zu vermeiden. In dieser Sphäre, über die ich jetzt entscheiden werde, möchte ich all das bewahren, was wir in diesen 45 Jahren geleistet haben, und wir haben trotz allem viel getan. Manchmal beneidet Ihr im Westen uns darum, auf jeden Fall die Theaterleute, das weiß ich mit aller Sicherheit, weil es ein mir nahes und bekanntes Gebiet ist.

Deshalb möchte ich alles annehmen, was bei Euch zum Besten zählt und alles ablehnen, was bei Euch am schlechtesten ist. Denn bei Euch gibt es auch sehr viel Schlechtes, die Kommerzialisierung der Kultur zum Beispiel...

Sollen wir uns nicht hüten, uns allzusehr dem Westen aufzuschließen, um der Gefahr einer Nachahmung des Westens zu entgehen?

Was diese Gefahr anbelangt: Vor kurzem verbrachte ich einige Zeit in der Sowjetunion, weil ich dort als Regisseurin tätig war. Bei den Russen ist die Gefahr größer als bei uns. Was sie im Moment erleben, ist eine Art Berauschung am Westen, so wie wir es 1956 erfahren haben: Das war einfach ein wahnsinniges Anstarren des Westens. Diese Sünde begehen wir nicht mehr. Bestimmt werde ich mich bemühen, alles anzuerkennen, zu prämieren, zu promovieren, was von den Wurzeln her polnisch ist. Ich denke daran, daß einmal - selbstverständlich immer nur die Zukunft voraussehend und schon wieder optimistisch - dieses Europa ein gemeinsames Europa sein wird. Dann werden wir uns voneinander nur durch unsere Kulturen unterscheiden. Die Zivilisationsunterschiede sollen aufgehoben werden, demgegenüber sollen die Kulturunterschiede ausgeprägt sein, denn falls das Kulturleben nicht differenziert sein wird, wird diese Welt farblos sein. Ich glaube, daß diese Einsicht die Ursache für die so verbreitete Rückkehr zu einfachen Nationalismen ist. Es besteht so etwas wie Sinn für Bedrohung, Angst davor, daß wir in diesem gemeinsamen Europa untergehen. Nein! Davor möchte ich warnen. Ich wiederhole noch einmal: Es soll eine große, gemeinsame Zivilisation geben, die Kultur dagegen soll uns stark voneinander unterscheiden, damit es hier bunt und farbig sein kann.

Ich möchte alles schützen, was bunt und farbig ist, ohne aus unserem Land „Cepelia“ zu machen. Da die Bezeichnung für die Leser nicht verständlich ist, bin ich eine Erklärung schuldig. „Cepelia“ im schlimmsten Sinne des Wortes existiert nämlich sowohl im Osten als auch im Westen. Bei uns in Polen wird damit eine Genossenschaft benannt, die Volksspitzen und -schürzen, sowie verschiedene andere Sachen herstellt. Ich bin der Meinung, daß man über den Fortschritt in den Kulturen, sogar in den konservativen Kulturen, nicht hinwegsehen darf. Das bedeutet, daß die Wechselwirkungen zwischen Kulturen bestehen müssen, ganz so, wie die Volkstracht der Hoftracht entstammte, nur auf eigene Art umgearbeitet. Ebenso reichen die Wurzeln der polnischen Kultur in die deutsche Kultur, die russische, tschechische und sogar die schwedische hinein. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Und dann ist da die Eigenart einer Nation, die geographische Lage, die Schwierigkeiten, die die Leute zu meistern haben. Nehmen Sie zum Beispiel die skandinavische Kultur: Sie ist so streng. Das fällt besonders in der Malerei auf. Sie ist wunderschön, und ich mag sie so sehr, eben weil sie diesen Charakter hat. Sie ist originell. Und ebenso haben wir unseren Charakter. Ich bin nicht imstande, diesen endgültig zu bestimmen. Vielleicht in vier Jahren, wenn ich von dem Amt zurücktreten werde. Dann werde ich umfassender blicken können, werde ich dieses charakteristische Merkmal benennen können. Aber mit Sicherheit empfinde ich schon heute sehr tief, was uns gehört und was falscherweise entlehnt worden ist.

Ich spreche jetzt sehr lange davon, aber ich finde es sehr wichtig, diese Differenz aufzufassen. Man muß die edlen Entlehnungen, das heißt die gegenseitige Auswirkung der Kulturen, von solchen unterscheiden, wie zum Beispiel denjenigen, in der modernen Rockmusik. Wenn ich den Fernsehapparat einschalte und alle singen Rockmusik auf englisch und machen es auf dieselbe Weise, nur einige schwächer und einige besser, dann tut mir das wirklich leid, denn ich möchte das überhaupt nicht sehen und als Kulturministerin möchte ich das nicht unterstützen. Ich möchte lieber, daß unsere Popmusik - sehen Sie, ich benutze schon das Wort pop, weil es dafür den polnischen Namen überhaupt nicht gibt - daß unsere Musik eine andere Musik wird. Es gab einmal Ansätze hierzu - vielleicht spreche ich jetzt wie ein Mensch im reifen Alter -, ich denke an die Musik von „Skaldowie“.

Sie haben versucht, moderne Musik auf den polnischen Boden zu übertragen, und mir scheint, es waren gelungene Proben. Ich weiß nicht, wie es weiter funktionieren kann. Die Kultur muß sich frei entfalten, sie kann keine Richtlinien von oben bekommen. Man sollte nur wachsam sein und alles fördern, was am besten ist.

Im Zusammenhang mit dem letzten Jahrestag des Kriegsausbruchs wurden verschiedenartige Diskussionen zum Thema der deutsch-polnischen Beziehungen wieder aufgenommen. Wie sehen Sie die Verbindungen der polnischen mit der deutschen Kultur?

Sie sind so tief in Polen verwurzelt, sie existieren so tief, daß man den Versuch aufnehmen muß, all die Hindernisse zu überwinden, die einen Aufbau von politischen Beziehungen in der erwünschten Form stören. Es müßte doch möglich sein, daß die politischen Beziehungen so erfreulich gestaltet werden, wie diejenigen zum Beispiel zwischen Deutschland und Frankreich, denn diese waren doch auch nicht immer reibungslos.

Ich bin der Ansicht, daß dies jetzt eines der wichtigsten Probleme in Europa ist. Und ich glaube, gerade die Regierung von Mazowiecki wird dies leisten können. Ich habe die Hoffnung, daß es dazu kommt. Die Schuld liegt doch auf beiden Seiten.

Ich spreche jetzt nicht vom Krieg, ich denke an die Nachkriegsbeziehungen. Man wird offen eine Abrechnung durchführen müssen: Was habt Ihr Deutschen von uns und was haben wir von Euch. Und wir haben sehr viel. Ein trauriger und leidiger Nachlaß, aber auch ein guter aus der Zeit der Annexion Polens.

Ich war zum Beispiel in den letzten Jahren mit der Posener Wojewodschaft verbunden, und auf diese Erfahrung nehme ich jetzt Bezug. Man kann die Einstellung zur Arbeit nur loben. Das ist auch Kultur, eine Einstellung zum Kulturgut. Diese Gesellschaft ist anders als diejenige, die im neunzehnten Jahrhundert von den Russen annektiert war. Vielleicht hat sie weniger Anmut, weil die Deutschen weniger Anmut haben als die Russen, aber sie ist zivilisierter. Und das ist doch alles unsere Kultur. Davon werden wir uns nicht mehr trennen.

Es sind doch nicht nur die glücklichen Stunden, die uns formen, sondern auch unangenehme Momente des Lebens, und mir scheint es, daß man ihnen auch positive Eigenschaften abgewinnen kann. Einmal abgesehen davon, daß wir doch sehr viele glänzende polnische Geschlechter haben, die germanischer Herkunft sind, läßt sich zeigen, daß wir in der polnischen Sprache sehr viele Wörter germanischer Herkunft haben, deren wir uns gar nicht bewußt sind.

Auch in der Architektur zeigen sich Spuren, zwar nicht die besten, denn es sind Spuren der preußischen Architektur, aber immerhin. Ich denke auch an die Malerei, an Joseph Brandt und die ganze Münchener Schule, die zur Zeit so hochgeschätzt in der Welt ist. Diese Leute bildeten sich in Deutschland aus. Obgleich sie so tief polnisch waren, wie zum Beispiel Joseph Brandt - ich spreche jetzt nur von ihm, weil er mein Lieblingsmaler ist -, so sind die doch auch Schüler jener süddeutschen Künstler. Denken Sie an die Kultur der Anfänge des Jahrhunderts, Przybyszewski... Zwischen Posen und Berlin wurden Beziehungen unterhalten, wie gegenwärtig zwischen Posen und Warschau. Ich wünsche mir, daß einmal die Zeit kommt, in der wir nach Deutschland nicht mehr als Arbeitssuchende und Emigranten fahren, aus einem Land, in dem die Jugend ihren eigenen Platz nicht finden kann, sondern daß wir als Leute kommen, die in der Kultur im weitesten Sinne des Wortes als gleichberechtigte Bürger auftreten können. Ich glaube daran, daß es dazu kommen wird. Im Moment ist das alles, was ich zu dieser Beziehung zu sagen hätte.

Es bleibt noch das höchstkomplizierte Problem der deutschen Minderheit in Polen. Während meines letzten Aufenthaltes in Düsseldorf - es ist noch nicht so lange her, im Mai verweigerte ich den Journalisten ein Interview zu diesem Thema. Es war ein Glück, denn wie sich herausstellte, hatte ich höchstens von der Hälfte der Wahrheit eine Ahnung. Erst im Mai fing man nämlich an, Informationen zu diesem Problem zu veröffentlichen, und erst im Mai begannen in den Zeitungen Artikel zu erscheinen, die die Wahrheit vom Blickpunkt der anderen Seite aus an den Tag legten. Mir war nur die eine Seite bekannt. Ich lehnte dieses Interview ab, weil ich befürchtete, ein Thema anzurühren, welches sehr schmerzlich für alle beteiligten Menschen ist. Es wäre da noch viel zu sagen und aufzuschließen.