Obdachlos durch „Hurrican Ronnie“

In Washington protestierten Zehntausende gegen Obdachlosigkeit / Reagan kürzte sozialen Wohnungsbau um 75 Prozent / Drei Millionen Menschen ohne Dach überm Kopf  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Stars aus Hollywood und Penner aus Brooklyn, Stahlarbeiter aus Pittsburgh und alleinstehende Mütter aus Arizona. Sie alle marschierten am Samstag in Washington friedlich vereint aufs Kapitol zu, um gegen die Folgen des wohl größten Skandals der Reagan-Ära zu protestieren: die nahezu vollständige Zerstörung des sozialen Wohnungsbaus. Washingtons Polizei zählte 40.000 DemonstrantInnen, die Veranstalter, die „Koalition für die Obdachlosen“ nannten 100.000. Und ob die RednerInnen bei der Abschlußkundgebung nun Gott oder die Geister des New Age zur Hilfe der rund drei Millionen Obdachlosen in den USA herbeischworen, so war ihnen doch die Botschaft an die Bush-Administration gemeinsam: „Housing Now“, daß es nämlich in der Wohnungsbaupolitik so nicht mehr weitergeht. Wenn binnen einer Woche eine Milliarde Dollar für die Opfer des Wirbelsturms „Hugo“ aufgetan werden konnten, so rief der demokratische Gouverneur von Ohio, Richard Celeste, den Versammelten zu, „dann ist es unser Job, denen zu helfen, die von Hurrican 'Ronnie‘ obdachlos gemacht worden sind“.

In welchem Ausmaß der Wirbelsturm der Reagan-Jahre das urbane Amerika verwüstet hat, zeigen die von der Obdachlosen -Koalition verbreiteten Zahlen. Unter Reagan ist die Wohnungsbauförderung um 75 % (!) von 32 Milliarden Dollar auf 7,5 Milliarden jährlich gekürzt worden. Nur noch ein Viertel aller niedrigverdienenden MieterInnen erhalten Wohngeld. Sollte die Bush-Administration diese Politik fortsetzen, so sagt eine vom Kongreß finanzierte Studie voraus, werde die Zahl der Wohnungslosen in den nächsten 15 Jahren auf 19 Millionen ansteigen. Schon heute sind Familien mit Kindern die am schnellsten anwachsende Gruppe. „Es ist eine Schande“, so einer der Redner, „daß das reichste Land der Welt seinen BürgerInnen nicht einmal ein Dach über dem Kopf garantieren kann.“ Bereits zwei Drittel aller US -BürgerInnen halten die Obdachlosigkeit für ein „schwerwiegendes nationales Problem“. Nachdem die Popstars Richie Havens und Stevie Wonder den musikalischen Reigen der Kundgebung abgeschlossen hatten, hoffen die Organisatoren der Protestaktionen, daß Obdachlosigkeit weiter Thema in den Medien bleiben wird. Washingtons Stadtverwaltung befürchtet einen ganz anderen Effekt. Daß diejenigen DemonstrantInnen, die mit ihren „Mobile Homes“ - sprich Einkaufswagen - nach Washington kamen, die Hauptstadt nicht mehr verlassen wollen. Und das nicht aufgrund einer plötzlichen Politisierung, sondern einfach deshalb, weil es zwischen Weißem Haus und Kapitol eine ganze Menge dufter Kumpels für die kommenden kalten Nächte gibt.