SPD taktiert beim Nuklearwaffen-Verzicht

Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich festgelegt: Sie will die von den Grünen verlangte Grundgesetzänderung zum Atomwaffenverzicht ablehnen / Der alternative SPD-Antrag ist widersprüchlich / Die Grünen wollen auch die Schleichwege zur Atombombe unterbinden  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Die Sozialdemokraten glauben, daß in der Bundesrepublik ein nationaler Konsens besteht, keine Verfügung über Atomwaffen anzustreben - zugleich halten sie diesen Konsens für so brüchig, daß sie ihn nicht auf den Prüfstand heben wollen. So läßt sich eine Argumentation zusammenfassen, die jetzt in einem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zum Ausdruck kommt.

Das Papier ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Es berührt die Frage, welchen Weg die bundesdeutsche Politik geht, wenn die Beteiligung an einer westeuropäischen Atomstreitmacht in den Bereich des Möglichen kommt und zugleich der bis 1995 befristete Atomwaffensperrvertrag zur Disposition steht. Verfaßt wurde das Papier zudem in direkter Konkurrenz zu einem Antrag der Grünen: Diese wollen eine nukleare Beteiligung auch auf Seitenpfaden verhindern, indem ein weitgefaßter Atomwaffenverzicht im Grundgesetz verankert werden soll. Ein Sprecher der SPD-Fraktion erklärte jetzt, daß die Sozialdemokraten den Grünen-Antrag im Bundestag ablehnen werden, obwohl sich einzelne Sozialdemokraten öffentlich immer wieder für ihn eingesetzt haben. Erst kürzlich zum Beispiel Klaus Traube.

Ein Blick auf die Differenzen lohnt also. Die Grünen begründen die verlangte Grundgesetzergänzung vor allem mit der Lückenhaftigkeit des bisherigen Nuklearverzichts der Bundesrepublik. Der von Konrad Adenauer 1954 gegenüber den Westmächten ausgesprochene Verzicht läßt zum Beispiel den Erwerb von Atomwaffen oder ihre Herstellung in deutschem Auftrag auf fremdem Territorium durchaus zu. Der Atomwaffensperrvertrag ermöglicht auch ohne Vetragsverletzung die Entwicklung einzelner Komponenten für Atomwaffen, weitreichender Trägersysteme und die Atomwaffenforschung. Bestehende Verträge haben die BRD nicht daran gehindert, „Atomwaffenstaat auf Abruf“ zu werden, argumentieren die Grünen; die Grundgesetzklausel soll darum nicht nur ein politisches Signal setzten, sondern auch die bisher offenen Schleichwege zur Bombe versperren: keinen Mitbesitz, keine Mitverfügung, keine Mitwirkung.

Die SPD hält es hingegen nicht für opportun, ein derartiges politisches Signal zu setzen. Sie bestreitet auch die Notwendigkeit, nuklearen Begehrlichkeiten weitere Riegel vorzuschieben. In ihrem Antrag verlangt die Fraktion nur, der Bundestag solle die bestehenden Verträge bekräftigen und die Bundesregierung solle sich für die unbegrenzte Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags einsetzen. Die bisherigen Verpflichtungen im Nuklearbereich müßten als „bleibende Richtschnur für die Außenpolitik“ betrachtet werden.

Bereits auf der banalen Ebene von Nuklearexporten klafft da ein beachtlicher Widerspruch in der SPD-Argumentation: Zigfach beklagte die Fraktion bisher, daß der Atomwaffensperrvertrag eben nicht die „Richtschnur“ der Politik sei, sondern andauernd gebrochen oder umgangen werde. Der weitergehende Grundgesetzantrag der Grünen sei aber vor allem deshalb schädlich, weil er garantiert durch die Bundestagsmehrheit abgelehnt werde. Durch diese Ablehnung könne nämlich der bisher bestehende Konsens im Nuklearverzicht brüchig werden.

Die Widersprüchlichkeit liegt auf der Hand: Daß sich zumindest Teile der Konservativen nie mit dem bundesdeutschen Nuklearverzicht abgefunden haben, räumte schon früher der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer ein, als er den Grünen vorwarf, „schlafende Hunde“ zu wecken. Immerhin sitzen von jenen CDU/CSU-Abgeordneten, die gegen die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags gestimmt hatten, heute noch manche im Bundestag - und mit Gerhard Stoltenberg einer der schärfsten Gegner sogar auf der Hardthöhe.

Die Phalanx gegen eine Grundgesetzänderung ist bei den Konservativ-Liberalen aber gar nicht so geschlossen, wie es die SPD erscheinen läßt. Die FDP-Politikerin Hildegard Hamm -Brücher forderte mehrfach, die Atomwaffenherstellung per Verfassung verbieten zu lassen, weil die Serie einschlägiger Exportskandale sie erzürnte. Doch die Bonner SPD, sonst dankbar für jeden minimalen Riß im Koalitionslager, scheut diesmal die politische Auseinandersetzung.

Beherzter zeigten sich die Genossen im niedersächsischen Landtag. In einer Entschließung machte sich die dortige Fraktion der Sozialdemokraten die Begründung der Grünen zu eigen. Statt den Weg über das Grundgesetz zu gehen, fordert die Schröder-Fraktion einen „ausdrücklichen, förmlichen und feierlichen Verzicht“ auf alle Massenvernichtungswaffen, der auch - in Anlehnung an den Grünen-Antrag - die „Mitverfügung“ und „Mitwirkung“ an den Waffen anderer Staaten umfassen müsse.

Diese Mitwirkung könnte in der Kooperation mit der Atommacht Frankreich schon bald auf die Tagesordnung kommen, und die Position der SPD war dazu bisher nicht eindeutig. Die vertragliche Festschreibung der nuklearen Komponente in der Abschreckungsdoktrin beider Länder wurde von der SPD unterstützt. In ihrem Bundestagsantrag will die Fraktion nun ausschließen lassen, daß die Bundesrepublik im westeuropäischen Rahmen eine nukleare Beteiligung anstrebt. Hinsichtlich des ersten Schritts zu einer derartige Beteiligung, nämlich der deutschen Mitbestimmung bei der nuklearen Zielplanung, wie sie Egon Bahr bereits einmal gefordert hat, bleibt die Formulierung aber auffallend vage: Die Einsatzplanung sei keine „internationale Zukunftsaufgabe“.

Die Zustimmung des gesamten Bundestages dürfte die SPD zu allen Passagen ihres Antrags dennoch nicht erhalten. Ihre „taktischen Manöver“ erklärt sich der Grünen-Abgeordnete Tay Eich deshalb viel schlichter: „Die SPD will sich auf keinen einklagbaren Anti-Atomwaffenkurs festlegen.“