SPD Schleswig-Holstein übt sich im Spagat

Der Landesparteitag beschließt einen Gegenantrag mit heftiger Kritik von links am Entwurf des SPD-Grundsatzprogramms „Fortschritt 90“ Landespolitisch bestimmen Sachzwänge das politische Handeln / Auch andere SPD-Bezirke machen Front gegen „Fortschritt 90„-Programm  ■  Von Jürgen Oetting

Timmendorfer Strand (taz) - Am Wochenende veranstaltete die schleswig-holsteinische SPD auf ihrem Landesparteitag in Timmendorfer Strand (Ostholstein) einen bemerkenswerten politischen Spagat. Bundespolitisch wollen die Nord-Sozis den Grundsatzprogramm-Entwurf der SPD kippen - sie beschlossen einen kompletten Alternativentwurf für den Bremer Bundesparteitag im Dezember. Der Timmendorfer Entwurf steht nach alter schleswig-holsteinischer SPD-Tradition weit links von dem, was in der Bundespartei möglich ist. Landespolitisch dagegen schworen Kieler Regierungs- und Fraktionsmitglieder die Delegiertenbasis auf eine Politik der volkswirtschaftlichen Sachzwänge ein.

Der Landesparteitag zeigte sich über „unverbindliche“ Formulierungen der Bundesprogrammkommission, deren Vorsitzender Oskar Lafontaine ist, unzufrieden, insbesondere zur Nato-Strategie. Im vom SPD-Landesvorstand vorgelegten und dem vom Parteitag in mehreren Punkten verschärften Alternativentwurf zum Bundesprogramm wird der komplette Ausstieg aus der Atomwaffenstrategie gefordert und auch die einseitige Abrüstung in Betracht gezogen.

Im Punkt „Gestaltung von Arbeit und Arbeitswelt“ fordern die Nordlichter die Einführung eines Mindesteinkommens für alle - auch für Hausfrauen - und eine Arbeitsplatzgarantie nach schwedischem Modell. Außerdem wurde ein passives und aktives Wahlrecht für Ausländer postuliert. Die Kieler SPD -Fraktion war in der eigenen Gesetzgebung nicht so weit gegangen. In Schleswig-Holstein dürfen nur abendländische Ausländer wählen, in deren Heimatländern auch Deutsche Wahlrecht haben.

Ansonsten scheint in der schleswig-holsteinischen Landespolitik alles in bester sozialdemokratischer Ordnung zu sein, so jedenfalls klang es im Grundsatzreferat des Ministerpräsidenten Björn Engholm: „Mein Kabinett kann sich im Vergleich zu anderen deutschen SPD-Kabinetten sehr gut sehen lassen.“ Es hätte Kompetenz in den Bereichen Ökonomie, Sozialpolitik und Ökologie bewiesen. Besonders im ökonomischen Bereich sei beispielhaft verfahren worden: „Wirtschaft, Regierung und Gewerkschaften ziehen an einem Tau, wir leisten uns keine unnötigen Konflikte.“

Die leistete sich auch der Landesparteitag nicht, die Regierungspolitik Engholms wurde wohlwollend und selbstzufrieden goutiert, obwohl an der Parteibasis die Kritik an der zögerlichen Umsetzung der SPD-Programmatik wächst. Diese Kritik wurde auf dem Parteitag jedoch nur an zwei Punkten artikuliert. Einige Delegierte beklagten sich über die Planungen für Müll- und Sondermülldeponien im Lande, bei denen die Interessen der Bevölkerung und die Inhalte der SPD-Landesprogrammatik nicht genügend berücksichtigt würden.

Für offenkundige Verärgerung bei Engholm und dem Fraktionsvorsitzenden Gert Börnsen sorgte ein Initiativantrag des mitgliederstärksten Kreisverbandes Rendsburg-Eckernförde. Die Kreis-SPD erteilte Regierungsplänen, einen Militärflugplatz in Hohn bei Rendsburg zum zivilen Regionalflughafen auszubauen, eine klare Absage - aus ökologischen Gründen und Zweifeln an der wirtschaftlichen Notwendigkeit. Engholm und Börnsen mahnten „saubere demokratische Methoden“ an. Vor einer Ablehnung müsse eine „ergebnisoffene Diskussion“ stehen, das mache den Unterschied zwischen Partei und Bürgerinitiative aus. Ulrike Mehl, stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes für Natur und Umweltschutz (BUND) und Delegierte des aufmüpfigen Kreisverbandes, warf der Regierung vor, gerade diese „Ergebnisoffenheit“ nicht vermittelt zu haben, weil Regierungsmitglieder monatelang schon Flugplatzpläne präsentiert hätten. Das Schicksal des Initiativantrages war bei Redaktionsschluß noch unklar - vieles deutete auf eine Überweisung in den Landesausschuß der Partei.

Front gegen „Fortschritt 90“

Auch in anderen SPD-Landesbezirken regt sich Widerstand gegen Lafontaines Grundsatzprogramm „Fortschritt 90“. Die baden-württembergischen Sozialdemokraten forderten in Schwäbisch-Gmünd im Gegensatz zum Bundesentwurf die bedingungslose Überwindung der Atomwaffen. In der Deutschlandpolitik strebt die Südwest-SPD „nicht Wiedervereinigung nach historischem Muster“, sondern eine „Einheit der Deutschen im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Föderation“ an. Außerdem will der Landesverband auch im Grundsatzprogramm und nicht nur im SPD -Regierungsprogramm die Forderung nach Ökosteuern festschreiben.

Rund 200 Einzelanträge mit deutlicher Detailkritik lagen dem Bezirksparteitag Hessen-Süd in Maintal (Main-Kinzig -Kreis) vor. Die Genossen wollen vor allem die Passagen zum Umweltschutz konkreter und schärfer gefaßt haben. Sie sprachen sich ferner für Erleichterungen beim Schwangerschaftsabbruch aus. Nach sechstündiger Debatte über Änderungsanträge mußte sich der Bezirksparteitag wegen Beschlußunfähigkeit jedoch vorzeitig auflösen.