Schutz- und Trutzgemeinschaft

■ Interview mit der Berliner Professorin für Sozialarbeit und Eheberaterin Hildegard Bechtler

taz: Wieso gibt es heutzutage soviele Uralt-Paare?

Hildegard Bechtler: Die Lebenserwartung hat sich in den letzten hundert Jahren quasi verdoppelt. Immer mehr Menschen werden immer älter, womit sich auch die Ehedauer verlängert. Während noch vor einigen Generationen die durchschnittliche Ehe etwa 15 Jahre dauerte, liegt die statistische Ehedauer heute bei 45 Jahren. Das ist natürlich nur die biologische Voraussetzung dafür.

Und die anderen Gründe?

Wenn man das weiter untersucht, dann ist es sicher zuerst einmal das besondere Ehe-Verständnis der heute alten Generation. Die haben einander ja geschworen zusammenzubleiben, bis der Tod sie scheidet. Die Scheidungsrate der heutigen Alten ist äußerst gering.

Mit welchen psychischen Strategien hält man es denn bis zu 70 Jahre miteinander aus?

Genau wissenschaftlich erklären kann ich das nicht, denn dieser Bereich ist bisher stark vernachlässigt worden. Aus einer Untersuchung wissen wir, daß Paare mit positivem Eheverlauf Kommunikationsstile und -muster benutzen, wo sich die Partner gegenseitig bestärken, anstatt einander abzuwerten. Schwierigkeiten werden nicht benutzt, um dem Partner alle seine Schwächen und Fehler vorzuhalten. Außerdem kommt hinzu, daß die Partner bei zunehmendem Alter sich gegenseitig brauchen. Da sind die Pensionierungen, der Tod von Freunden und Krankheit zu bewältigen. Man steht als Schutz- und Trutzgemeinschaft gegen die Widrigkeiten des Alters zusammen.

Welche Rolle spielen die traditionellen Rollenmuster?

Die Frauen sind natürlich auf ihre typische Rolle hin sozialisiert worden, die sich grob charakterisieren läßt durch „Unterwürfigkeit“ und „Aufopfern für den Mann“. Dazu kommt, daß die Frauen auf die Ehe als Versorgungsinstitution angewiesen waren. Sie waren in der Regel nicht in Richtung Beruf qualifiziert, sondern waren auf die Rolle als Hausfrau und Mutter ausgerichtet.

Es gibt die Theorie, daß sich Langverheiratete im Lauf der Zeit immer ähnlicher werden...

Wissenschaftlich genau ist das nicht bewiesen. Es ist aber davon auszugehen, daß sich Paare angleichen. Daß sie ähnliche Hobbies, Interessen haben und Weltanschauungen. Wir wissen aus der Familienforschung, daß ein gemeinsames Wertesystem ein wesentliches Kriterium für das Gelingen einer Beziehung darstellt.

Klingt unerhört langweilig...

Kann es auch sein, wenn es Momente der Erstarrung hat, und sich die Partner keine Freiräume lassen. Wir nennen das „bezogene Individuation“.

Das würden die Alten wohl kaum so nennen.

Richtig. Das zeigt die Schwierigkeit, das wissenschaftlich zu erfassen. Was das Geheimnis der Langzeitehe ist, wissen wir einfach nicht. Es geht da wohl weniger um die zugespitzte Frage „glücklich“ oder „nicht glücklich“, sondern „Wie schaffen die das?“

Kommen hochbetagte Paare in die Eheberatung?

Bisher nur zögernd. Erstens haben diese Paare nach ihrem langen Leben die Auffassung entwickelt, mit Schwierigkeiten alleine fertig zu werden. Dazu kommt, daß das Paar dann einem Therapeuten gegenübersäße, der im Alter der Kinder ist. Die können sich nicht vorstellen, da ihre Probleme auszupacken. Außerdem: Welcher Therapeut sieht sich schon gern mit seinen „Eltern“ konfrontiert.

Interview: kotte