Momper: Die SED ist „reformfähig“

■ Regierender Bürgermeister fordert von der DDR, sich dem europäischen Integrationsprozeß nicht zu entziehen / In die Gründung von Organisationen und Parteien drüben will die SPD nicht reinreden / DDR habe gegen die KSZE-Schlußakte verstoßen / Schwerer Eingriff in die Pressefreiheit

„Ja“, meinte der Regierende Bürgermeister Walter Momper gestern, er halte die SED für reformfähig. Nach den massenhaften Demonstrationen in Ost-Berlin und der DDR und den harten Reaktionen der dortigen Regierung werden die Kontakte und Arbeitsgespräche z.B. über Reiseerleichterungen fortgesetzt, erklärte Momper weiter vor der Presse. Man müsse sich aber nach den Demonstrationen der letzten Tage in Ost-Berlin und anderen Städten auf eine „veränderte Situation“ einstellen. Er werde gemeinsam mit der Bundesregierung und den Alliierten über „geeignete Maßnahmen“ gegenüber der DDR nachdenken. Welche Maßnahmen das sein könnten, dazu wollte Momper nichts sagen.

Der Regierende Bürgermeister zeigte sich „entsetzt“ darüber, wie „hart und verschlossen“ die SED auf die kritischen Bürger reagiere. Momper forderte die DDR auf, Diskussions- und Meinungsfreiheit zu garantieren. Journalisten zu behindern, wie das in den letzten Tagen massiv geschehen ist, sei ein Verstoß gegen die KSZE -Schlußakte, die die DDR auch unterzeichnet habe. Momper sprach von einem „schweren Eingriff“ in die Pressefreiheit. Es sei nicht im Belieben der DDR, Rechte außer Kraft zu setzen. Die DDR werde sich dem internationalen und europäischen Integrationsprozeß nicht widersetzen können, meinte er, und weiter: „In einem gemeinsamen europäischen Haus kann nicht jeder so randalieren, wie er will.“ Mit Billigung der DDR-Führung sei außerdem der Radiosender 100,6 gestört worden. Wer glaube, auf diese Weise Informationen unterdrücken zu können, „irrt“. Momper kritisierte die 3.200 bekannt gewordenen Zurückweisungen an den Berliner Grenzübergängen. Er habe den Besuchsbeauftragten Hinkefuß gebeten, bei seinen östlichen Kollegen darauf zu drängen, daß bestehende Vereinbarungen eingehalten würden. Angesichts der Situation müsse sich die DDR fragen lassen, ob sie ein „zuverlässiger Partner“ sei.

Zu den Demonstrationen der letzten Tage sagte Momper, er bewundere die Disziplin und Gewaltfreiheit. Die Qualität der Bewegung zeige sich an eben dieser Gewaltlosigkeit. Momper wünscht den DDR-Bürgern, daß sie ihren „Mut bewahren“. „Mit Interesse und Solidarität“ verfolge er das Entstehen neuer Organisationen und Parteien. Zur Gründung der „SDP“ Sozialdemokratische Partei“ - in Ost-Berlin sagte Momper, die SPD werde in den Prozeß dieser Parteigründung nicht eingreifen, sondern dies den DDR-Bürgern überlassen. Momper mahnte den Westen zur Mäßigung. Man müsse jetzt alles unterlassen, was zu einer Verschärfung der Situation führe. Dem Osten könne das als „billiger Vorwand“ zum Eingreifen dienen. Die Lasten hätten andere zu tragen.

bf