Lachen und Weinen-betr.: "...wenn Du zu lieben gelernt", taz vom 3.10.89

betr.: “...wenn Du zu lieben gelernt“, taz vom 3.10.89

Diese Betrachtung über Heimat reizt mich einerseits zum Lachen, andererseits zum Weinen.

Lachen muß ich, wenn einer mehr der „Roulettespieler“ mit Hundementalität (Stichwort: Revierkampf) nach dem Verlieren über seine großartig eingesetzten Spielzüge lamentiert, die nicht zum Erfolg geführt haben. Lieber Graf Christian, war denn das nicht das „High“ des Spielers als die „Stuka -Piloten zurückwinkten“? Als du fünf Jahre später „dem anrückenden Feinde entgegenrittst“ und „die 17jährigen sterben sahst, wie man(n) es sie gelehrt“ hatte?

Jetzt mußt Du eben akzeptieren, Dein Spiel ging in die Binsen. Wie gewonnen, so zerronnen. Frage ist: Warum siehst Du auch heute noch nicht die Menschen, denen Du mithalfst zu leiden und machst allenfalls - zögerlich - eine Ausnahme für kleine Kinder?

Wenn ich vom Weinen spreche, dann darum, weil ich nicht begreifen kann, wie ein empfindsamer Mensch (wie Du es zu sein scheinst), nicht erkennt, daß gerade Deine Geisteshaltung: wenn ich gewinnen kann (auch auf Kosten von Mitmenschen), dann druff - eben zu unserem globalen Unglück tagtäglich beiträgt!

Was glaubst Du haben die Schwarzen gefühlt und fühlen noch heute, die aus ihrer Kinderheimat Afrika als Sklaven nach Amerika geschleppt wurden, und was für Heimweh haben die AsylantInnen in Deutschland heute, die aus Libyen, Äthiopien, Vietnam und sonstigen „Roulette-Tisch-Ländern“ (geschaffen von Männern Deines eigenen Kalibers) stammen, aber hier nicht einmal irgendetwas Bekanntes vorfinden und sei es die Sprache (die Du ja beibehalten konntest) geschweige denn Herzenswärme oder Anteilnahme als Menschen?

Als Ich-Mensch bin ich froh, daß Du wenigstens zugibst, daß auch „einige“ andere Menschen dasselbe Recht auf Heimat haben wie Du - weil ich als Abkömmling von Euch Chaoten so etwas wie Heimat nie gekannt habe. Inzwischen halte ich das sogar für soweit positiv, als ich dadurch gelernt habe, daß nicht die Heimat, das Territorium wichtig ist, sondern die Menschen und was sie tun.

(...) Setze Dich ein für eine menschlich-gefühlvoll -lebenswerte Welt, in der die Menschen Vorrang haben vor territorialen Ansprüchen. Begrenze Dich nicht nur auf Dein eigenes (selbstmitverschuldetes) Schicksal, sondern hilf aktiv dabei, gegen Heimatvertreibung (aus welchem Grund auch immer) anzuarbeiten. Du bist wichtig beim Aufbau einer Welt, in der wir alle Menschengeschwister sind. Nimm Deine eigenen liebevoll-wehmütigen Empfindungen beim Gedanken an die Heimat Deiner Kinderzeit und unterstelle ruhig dasselbe Gefühl allen Menschen, dann wirst Du sehen, wo Du überall helfen kannst!

Christine Liermann, Koblenz