Saulus und Paulus

Ungarns Kommunisten haben sich gespalten  ■ K O M M E N T A R E

Zum ersten Mal hat sich eine kommunistische Partei, die an der Macht ist, im Zuge der Perestroika gespalten. Während die einen noch an ihrem Modell der Diktatur des Proletariats hängen bleiben wollen und vorgeben, einen Verrat an der Arbeiterklasse zu begehen, wenn die Partei die Macht aus den Händen gibt, wollen die anderen sich an Haupt und Gliedern erneuern. Nur so, meinen die Reformer, hätte eine linke Partei in Ungarn langfristig eine Chance. Denn wer in einem demokratischen System bestehen will, muß sich ideologisch und praktisch von der Vergangenheit verabschieden. Glaubwürdigkeit bei den Wählern zurückzugewinnen ist den radikalen Reformern wichtiger als das Herumtricksen mit der Macht.

Und tatsächlich, eine runderneuerte, moderne sozialistische Partei westlichen Typs hätte nach Ansicht sogar der bisherigen Oppositionellen durchaus eine Chance, bei den Wahlen an die 30-Prozent-Marke heranzukommen. Doch noch immer tut sich die neue Partei schwer mit der Glaubwürdigkeit. Der Kompromiß, der die neue Formation möglich machte, nämlich der zwischen den radikalen Reformern vom Schlage Pozsgays und dem grand old man der bisherigen Partei, dem ehemaligen sozialdemokratischen Nyers, birgt seine Gefahren. Der Alte wirkt als Integrist und versucht von der alten Partei so viel herüberzuretten als möglich.

Wenn er in der Frage der Auflösung der Betriebsgruppen eine Mehrheit für deren Amtsübergang in die neue Parteistruktur bindet, behindert er den Bruch mit der Vergangenheit. Noch immer zögern auch viele der Delegierten, die Verantwortlichen für die Korruption und die Verbrechen der zurückliegenden Periode an den Pranger zu stellen. Was von den Leuten aus dem Apparat als „menschliche Vorgehensweise“ hingestellt wird, dient nur der Selbsterhaltung. Die Lunte ist schon jetzt gelegt für neue, harte Auseinandersetzungen in der sozialistischen Partei.

Den Konservativen dagegen wird auch dies nicht helfen. Ihre Argumentation, die alte USAP bestehe immer noch weiter, ist zwar juristisch nur schwer aus den Angeln zu heben, politisch, in der Gesellschaft, aber stehen sie schon jetzt im Abseits. Immerhin gibt ihnen die Halbherzigkeit der Sozialisten die Chance, noch manchen Brocken aus der alten Zeit einzufangen. Denn wer soll jetzt entscheiden, wem das „Weiße Hause an der Donau“, also der Besitz der Partei, wirklich zusteht? Da die Reformer alles vom Staat übereignen wollen, aber noch nicht können, wittern nun manche aus dem Parteiapparat, nicht nur in der Provinz, die Chance, sich in ihrer kuscheligen Ecke bei der alten Partei halten zu können.

Erich Rathfelder