Lech Walesas eigenwillige Personalpolitik

Streit um das polnische Gewerkschaftsblatt 'Tygodnik Solidarnosc‘ / Solidarnosc-Chef Walesa setzt autokratisch neuen Chefredakteur ein / Der wechselte kurzerhand die komplette Redaktion aus / Machtkampf zwischen Gewerkschaft und Parlamentariern?  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Die Wellen gehen hoch in der Ulicas Czackiego, der Redaktion des 'Tygodnik Solidarnosc‘. Grund: Lech Walesa setzte der Redaktion des Gewerkschaftsblattes ohne Konsultation mit den Journalisten einen neuen Chefredakteur vor die Nase, der noch dazu nicht einmal Journalist ist. Der neue Chefredakteur Jaroslaw Kaczynski hat praktisch die ganze Redaktion komplett ausgewechselt. „Walesa hatte das Recht dazu“, begründet er seine Anwesenheit im Chefredakteurszimmer des 'Tygodnik‘. „Der 'Tygodnik Solidarnosc‘ war immer eine Gewerkschaftszeitung, der Chefredakteur wurde von der Gewerkschaftsleitung ernannt. Das Landesexekutivkomitee hat auf das Vorschlagsrecht zugunsten Walesas verzichtet, und der hat Mazowiecki ernannt. Als Mazowiecki Premier wurde, hat er Jan Dvorak zu seinem Nachfolger gemacht, ohne daran zu denken, daß er dazu gar nicht das Recht hat. Und Walesa hat das eben rückgängig gemacht.“

Die Rechtsansprüche sind da etwas undurchsichtig, denn die Gewerkschaftsleitung ist ein de facto führendes Gremium, das aus den Wirren der Illegalität hervorgegangen ist, nicht aber aus Gewerkschaftswahlen. Auf die gleiche Weise kam auch Adam Michnik als Chef der 'Gazeta Wyborcza‘ ins Amt, ohne daß ihm jemand diesen Posten streitig machen könnte. Die 'Gazeta Wyborcza‘ war denn auch ein Trumpf im Streit um 'Tygodnik‘. Es hätten sich, erklärte Kaczynski der verdutzten Belegschaft, drei Machtzentren herausgebildet: Die Gewerkschaft, das Bürgerkomitee und die Parlamentsfraktion. Die 'Gazeta Wyborcza‘ sei unter den Einfluß von Bürgerkomitee und Fraktion geraten, deshalb dürfe die Gewerkschaft nicht auch noch ihre Wochenzeitung verlieren. Das brachte die Redakteure jedoch nur noch mehr auf. Das sei Zynismus, Machtkalkül, aber kein inhaltliches Argument. Die Wellen gingen so hoch, daß Walesa einen Entschuldigungsbrief an die Belegschaft schickte, seine Entscheidung aber noch einmal bekräftigte. Auch, daß Premier Mazowiecki bei Walesa intervenierte, half nichts. Manche sehen die Auseinandersetzung da schon als Machtkampf innerhalb der ehemaligen Opposition: Die Gewerkschaft, und damit auch ihr Vorsitzender Walesa, verlöre immer mehr Macht und Bedeutung zugunsten der Parlamentarier.

Jetzt mußte das KKW sogar noch die nach den Wahlen überhastet aufgelösten Bürgerkomitees um Verzeihung bitten und absegnen. Sie waren in die Wüste geschickt worden, um die Aufspaltung der Opposition in eine politische und eine gewerkschaftliche Bewegung zu verhindern.

Für Michal Boni, Stellvertreter des geschaßten Jan Dvorak, ist der Streit ein Zeichen dafür, daß die Gewerkschaft immer noch mit Hilfe von Reflexen der Konspirationszeit geleitet werde. „Der Beschluß ist ein Zeichen von Demokratiemangel“, findet er. Kaczynski sieht das anders: Der Beschluß sei eine Folge der schlechten Arbeit der Redaktion. „In der letzten Zeit fiel die Auflage von einer halben Million auf 400.000“, erzählt er, „das Blatt war einfach schlecht.“ Eine Ansicht, die sich inzwischen auch außerhalb der Redaktion durchzusetzen beginnt. Der 'Tygodnik‘ sei, so meinen polnische Kollegen, vor allem ganz einfach langweilig gewesen. Die neue Regierungssprecherin Malgorzata Niezabitowska, die selbst der Redaktion des 'Tygodnik Solidarnosc‘ entstammt, hielt dem entgegen, daß die Redaktion keine Chance gehabt habe, zu beweisen, wozu sie fähig sei. Auf ihrer ersten Pressekonferenz erklärte sie, Walesa habe zweifellos das Recht dazu gehabt, diese Entscheidung zu fällen. Doch die Art und Weise der Durchführung hinterlasse einen bitteren Nachgeschmack. „Während die Redaktion noch von nichts wußte, lief bereits ein von Walesa beauftragter Kollege durch die Stadt und stellte die neue Mannschaft zusammen.“

Die ist nun weitgehend komplett. Kaczynski hat einige recht kontroverse Autoren, deren provozierender Stil allein schon für Debatten sorgen wird, in die Redaktion geholt: Untergrundpublizist Jacek Maziarski, „Res Publica„-Autor Piotr Wierzbicki, die Soziologin Jadwiga Staniszewska. In Zukunft sollen in dem Blatt auch Konflikte innerhalb des „Solidarnosc-Lagers“ offen ausgetragen werden, auch mit Walesa-Gegnern, mit denen, die gegen den Runden Tisch waren, mit Leuten, so sagt Kaczynski, „die außerhalb der Strukturen stehen“. Die Rausgeschmissenen tragen sich auch mit der Gründung einer neuen Wochenzeitung. Sie soll die beiden Untergrundblätter 'PWA‘ und 'KOS‘ vereinigen. Eines scheint Walesa mit seiner umstrittenen Entscheidung immerhin geschafft zu haben: Es kommt Leben in die Presselandschaft.