Lettlands Volksfront will die Unabhängigkeit

■ Volksfront-Delegierte verabschieden Gesamtprogramm / Unabhängigkeit, Pluralismus, Marktwirtschaft und Privateigentum gefordert / Gespannte Lage in Aserbaidschan und Armenien

Riga (ap/afp) - Die Delegierten der unabhängigen Reformbewegung Lettische Volksfront haben sich in der Nacht zum Montag auf die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Lettlands festgelegt, ohne aber dafür einen Termin zu nennen. Schritte dahin seien die Einführung von Pluralismus und eines parlamentarischen Systems. Die Delegierten billigten das aus 126 Punkten bestehendes Programm, in dem es als Ziel bezeichnet wird, „die Unabhängigkeit des lettischen Staates durch die Schaffung einer demokratisch -parlamentarischen Republik wiederherzustellen“. Mit dieser Forderung ging die Bewegung weiter als die der baltischen Staaten Estland und Litauen. Die lettische Volksfront hat nach eigenem Bekunden 300.000 Mitglieder und organisiert damit elf Prozent der Gesamtbevölkerung Lettlands, 25 Prozent sind Mitglieder der KP. Im verabschiedeten Programm heißt es: „Lettlands gesellschaftliches und politisches Leben hat sich radikal gewandelt. Heute besteht die Möglichkeit, daß ein unabhängiges Lettland durch gewaltlose Mittel wiedererstehen kann.“ Gefordert werden Marktwirtschaft und die Wiederherstellung des Privateigentums.

Vor den Delegierten sprach auch der kommunistische Ministerpräsident Vilnis-Edvins Bresis, der davor warnte, die Reformen viel schneller als in der übrigen Sowjetunion voranzutreiben. Als dringlichste Aufgabe bezeichnete er es, die Kontrolle über die Volkswirtschaft der Republik in eigene Regie zu übernehmen. „Ich glaube, wir sind uns völlig einig über den Weg, den wir gehen müssen.“ Das Endziel sei, daß die Macht beim Volke liege und das Schicksal Lettlands vom lettischen Volk bestimmt werde.

Unterdessen ist die Lage im Kaukasus weiterhin angespannt. Um einen sicheren Schienenverkehr zwischen Aserbaidschan und Armenien zu gewährleisten, haben die sowjetischen Behörden „ernste Maßnahmen“ getroffen, meldete die amtliche Nachrichtenagentur 'tass‘ am Sonntag. Die aserbaidschanische Volksfront kündigte auf einem Treffen in Baku die Fortsetzung der vor Wochen begonnenen Schienenblockade an, die in Armenien inzwischen zu ernsten Versorgungsschwierigkeiten geführt hat.