Wahlheimat Schweden

■ Seit 14 Jahren haben AusländerInnen in Schweden schon das kommunale Wahlrecht / Bei der „großen Politik“, der Wahl zum Reichstag, bleiben sie allerdings (noch) außen vor

In den 50er Jahren hatte Tage Erlander, legendärer schwedischer Regierungschef, noch Muffensausen: „Aber Jungs, das geht doch nicht. Wenn irgendwo eine Majorität von Ausländern wohnt, was dann?“ 20 Jahre später war aus dem Mund seines Nachfolgers Olof Palme daraus ein „Ja, warum eigentlich nicht!“ geworden. Und heute beißt der Elch keinen Faden mehr daran ab: Seit 1975 haben AusländerInnen, die mindestens drei Jahre in Schweden gelebt und das 18. Lebensjahr erreicht haben, ein aktives und passives Wahlrecht. Das heißt, sie dürfen wählen und gewählt werden aber nur zu den 284 Gemeindeversammlungen und den 23 Provinziallandtagen. Wenn es um die „große Politik“ geht, den Reichstag, dann sind die Einwanderer in dem Land, das als erstes in Westeuropa das Ausländerwahlrecht einführte, draußen vor der Urne.

Nur schwedische StaatsbürgerInnen sind zur Stimmabgabe für den Reichstag aufgerufen. Und die Staatsbürgerschaft können die ausländischen Frauen und Männer nach frühestens fünf Jahren beantragen, Angehörige nordischer Staaten bereits nach zwei Jahren. Jede(r) Achte des 8,5 Millionen Volkes kommt inzwischen aus einem anderen Land. 240.000 der rund eine Million AusländerInnen sind wahlberechtigt, sie präsentieren somit 3,7 Prozent aller Wahlberechtigten in Schweden.

Daß es mit der Wahlbeteiligung jedoch kontinuierlich bergab geht und diese bei den Wahlen im September 1988 mit nur 43 Prozent auf einen absoluten Tiefpunkt rutschte - 1976 lag die Beteiligung bei 60 Prozent und rutschte bis 1985 auf 48 Prozent ab - führen Insider auf dieses Zwei-Klassen -Wahlrecht zurück. Schließlich will nicht jeder Ausländer nach zwei bzw. fünf Jahren in eine andere Staatsbürgerschaft schlüpfen. Die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft als Normalfall wurde in Schweden zwar in mehreren Enquetekommissionen diskutiert - jedoch ohne Ergebnis.

Tomas Hammar, Staatswissenschaftler und Leiter des Zentrums für Internationale Migrationsforschung an der Universität Stockholm, sieht noch weitere Gründe für die Enthaltsamkeit an der Urne: „Unter den Ausländern gibt es viele junge und unverheiratete Menschen, und diese Gruppen pflegen in allen demokratischen Ländern, eine niedrige Wahlbeteiligung aufzuweisen. Viele kommen aus Ländern, in denen die Wahlbeteiligung generell niedrig ist. Die politischen Verhältnisse und Verhaltensmuster in den Ursprungsländern haben einen Einfluß auf die Beteiligung an den schwedischen Wahlen.“ Nach den Wahlen '88 zogen 106 AusländerInnen in die Gemeindeparlamente, elf in die Landtage ein. Eine in der letzten Woche vom statistischen Bundesamt in Schweden veröffentlichte Auswertung ergab, daß die Wahlbeteiligung bei ausländischen Frauen höher liegt als bei ausländischen Männern. Das Interesse bei jungen AusländerInnen ist eher gering: Nur jede(r) dritte zwischen 21 und 24 Jahren ging an die Urne.

Die Befürchtungen Tage Erlanders, die Ausländer könnten gäbe man ihnen das Wahlrecht - eigene Parteien gründen oder extremistischen Gruppierungen zu Mehrheiten verhelfen, haben sich in Schweden nicht bestätigt. Im Gegenteil: In ihrem Wahlverhalten bewegen sich die eingewanderten Frauen und Männer auf traditionellen Parteipfaden; die meisten geben ihre Stimme einer der etablierten Parteien.

Gisela Petterson