DER SCHLÄCHTER GESCHLACHTET

■ Der Leipziger Maler Bernhard Heisig in der Berlinischen Galerie

Es beginnt ganz harmlos, dann wird Blut gekocht. Was anfangs leicht, beinahe impressionistisch anmutet, wird schwer, brutal und exzessiv. Da kämpft einer auf der Leinwand mit sich selbst und gegen die Vergangenheit, aber aussichtslos, ist Täter und Opfer, Schlächter und Schlachtvieh gleichermaßen.

Bei dem Maler und Grafiker Bernhard Heisig aus Leipzig (geb. 1925) ist Gewalt im Spiel. Sein Thema sind die Vergangenheit und die Zeit danach, zwischen Erinnerung und Tod, da alles längst in Fetzen vor uns liegt, als böser Alptraum, in dem die Lemuren hämisch ein Grab schaufeln, das selbst wieder die Hölle ist. Ein hundertfaches Bild entsteht, das jenes Thema gleichsam durchkocht, siedet, endlos, in der Hoffnung, es möge aufhören zu toben, es möge verdampfen.

Ein Schlachter ist Heisig nicht von Anfang an gewesen, aber bald und in der Form nur in der Malerei. Sein Stil ist das Figürliche, nicht die gegenstandslose Welt der Nachkriegsmordernen im Westen. Nur kurz war die Zeit der geleckten Heroen im Osten. Bei Heisig muß Leinwand gerochen, gefühlt, geschmeckt werden, selbst oder gerade wenn sie nach Leichen stinkt. Die Figur wird fast zum alleinigen Sujet. Sie konzentriert alles in sich, ist „für alles bezugsfähig“ (B.H.).

Sitzen anfangs noch einsam kühle Brünette („Modellszene Jutta“, 1958) und ein paar Akte („Halbakt“, 1958) wie lebendig auf Stühlen in festen Zimmern („Frauenbild“, 1960), so wird es bald voller im Bild und der Raum enger. Die „Kommunarden“, 1962 im Stil des sozialistischen Realismus gemalt und als kämpferische Politfolkloristen verkleidet, krachen 1964 („Die Pariser Kommune“) zusammen und mit ihnen die Welt. Eine Implosion (Jörn Merkert) findet in Heisigs Gemälden statt: Die Welt ist angehalten für den Augenblick ihres Durchglühens, es endet in Krieg und Gewalt, und sie verlischt. Ab jetzt paßt bei Heisig nichts mehr zusammen. Die narrative Ebene wird zugunsten einer assoziativen Montage aufgegeben. Ort, Zeit und Handlung wirbeln mit ihren Figuren und Dingen auseinander; unterschiedlichste Wirklichkeits- und Zeitenräume schieben sich ineinander, in mehreren Bildern zugleich. Der Bildraum saugt uns in ein aggressives Traumland, in dem Tragödien im Zeitstillstand geträumt werden. Heraus kommt man da nicht mehr.

Es ist, als hätten Beckmanns (Heisigs großer Ahnherr) starre Puppengestalten und kuhäugig glotzende Tiermasken, seine Pauken und Trompeten Explosionspillen geschluckt, die nun die Körper aufreißen, die Gesichter zerfetzen und brüllende Fleischklumpen und Krüppel hinterlassen. DIe Mörderbande aus Beckmanns „Nacht“ (1919) wütet bei Heisig ununterbrochen, ist selbst so blutig, daß sie von ihren Opfern nicht mehr zu unterscheiden ist. Es gibt auch keine engen Kisten mehr, in denen still gelitten wird. Jetzt herrscht Krieg im Weltenraum.

Ein wahnsinniger Krieg: Heisigs „Festung Breslau“ (1969) quält fast psychisch. Aus der kaputten Stadt quietscht der Triebwagen einer Straßenbahn auf den Betrachter zu. Wie ein Räumfahrzeug platzt er in die Bildmitte, als wolle er die vor ihm aufgetürmten Leiber aus den Bildrahmen kippen, direkt vor unsere Füße. Die Szene ist in ein fahles, unwirkliches Licht getaucht, so daß die grellen Farben wie die visionäre Beleuchtung einer Höllenfahrt herausblitzen, scheinbar mutwillig ausgetragen und voller Lärm.

Ab Mitte der siebziger Jahre ringt Heisig nicht mehr nur mit vergangenem Grauen, dem Zweiten Weltkrieg, den er als Frontsoldat mitgemacht hat. Gewalt und Tod als solche werden sein Thema. Die plastische Sinnlichkeit früherer Kompositionen zerfällt jetzt völlig. Ein aufgelöstes Bildgefüge expandiert. Turbulente Collagen aus Gemälden von Bruegel, Dix und Nussbaum, aus Fotografien und Filmstreifen, Literatur und Musik, werden - wie auf einer Simultanbühne zusammengesetzt aus mythologischen Wesen und alltäglichen Dingen, so daß ein Welttheater entsteht, in dem die Requisiten mit dem Mobiliar und die Figuren gegen sich selbst kämpfen, brutal, sinnlos, gemein. Alles zuckt in einem Blitz zusammen, Rebellen der Geschichte wie ihre Mörder. Jesus, als Soldat verkleidet, reißt sich da vom Kreuz los („Christus verweigert den Gehorsam I“, 1984/86). Ikarus schwebt über menschlichen Schutt („Ikarus“, 1975) und Giordano Bruno, der Ketzer, wird immer noch verbrannt („Lob der gelegentlichen Unvernunft“, 1979/80). Immer kreischt dazu die Welt aus Lautsprecherboxen, Totenschädel rollen durchs Bild, und Gewehrsalven krachen. Ein roter Schlund tut sich dabei auf, der uns hineinzuziehen droht in eine morbide Geisterwelt. Distanz ist das letzte, was Heisig will, wenn seine Soldaten uns die Karabiner direkt vors Gesicht halten und Bajonette oder Fleischerhaken uns aufzuschlitzen drohen. Erinnern sollen wir uns schockartig: Heisigs Bilder malen an die Wand, was die Uhren längst anzeigen. Überall ist die Welt schon jenseits der Katastrophe, nichts geht mehr, Endzeit, Stillstand. Ein böser Traum, der reingeträumt werden soll.

In diesem Dickicht aus beschleunigter Zeit und Stillstand, konzentrierter Vielfalt und gewalttätiger Auflösung hockt der Künstler Heisig als Ent-Träumer. „Der Maler und sein Thema“ ist ein zwischen 1977 und 1979 entstandenes Gemälde, das den Künstler inmitten seiner Figuren zeigt. Atemlos und mit aufgerissenen Augen guckt er uns aus dem Bild heraus an, als wolle er nicht glauben, daß das sein Thema ist. Die geschichtlichen Gestalten jagen um ihn herum, jagen und bedrängen ihn wie Alpträume. Soldaten, aufgerissene Mäuler, Särge mit Leichen, Lautsprecher drängen da von hinten auf Heisig ein, von allen Seiten schließlich. Alles scheint sich zu drehen, der Anfang ist zugleich das Ende. Das Bild, schreibt Eberhard Roters im Katalog, sei von einem „unausstehlichen inneren Lärm erfüllt, einem Lärm, der kaum zu ertragen ist, einem Höllenlärm“, dessen entsetzliche Gewalt den Maler wie uns selbst so entleert, daß eine Erlösung dabei stattfinde. Das klingt nach der Katharsis von klassischen Tragödien.

An anderer Stelle hat Heisig keinen Ausweg mehr. In seinem ebenfalls 1977 entstandenen Bild „Beharrlichkeit des Vergessens“ wirbeln um einen riesigen in der Mitte plazierten irren Krüppel Mord und Totschlag in einer unaufhörlichen Rotation immer neuer Bilder. Vor dem zum Kanonenrohr verwandelten Holzbein preßt ein Narr Luft in eine Trompete, mit letzter Gewalt. Alles ist verzerrt und aggressiv mit Komplementärfarben gemalt, Proportion wie Perspektive fehlt. Im Hintergrund, über Otto Dix‘ Anti -Kriegstriptychon erscheint der Maler und schlägt die Hände vors Gesicht, als wäre dem Allem nicht zu entkommen. Die Bilder selbst sind terroristisch geworden.

Zusammen mit den schrecklich-schönen Gemälden präsentiert die Ausstellung rund 200 Graphiken Bernhard Heisigs, Feder und Bleistiftzeichnungen, Lithographien und Tuschlavierungen, mit denen der Künstler zumeist Literatur illustrierte. Es sind weniger bedrängende und freiere, oftmals sogar ironische Kommentare auf Dichtung und Kunst, die in der graphischen Form das Augenblickliche, den kleinen Moment suchen und diesen dramatisieren. Goethes „Faust“ (1981/82) wurd da durch Heisigs Federzeichnungen zu einer einzigen Schraffur, in der alles aus dem Leim gegangen scheint und wirr der Auflösung zutreibt. Ganz anders der skizzenhafte Kommentar zu Grimmelshausens „Courache“ (1966), witzig in lockerem Kontur. Schließlich wirken die Illustrationen zu Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz“ (1985) wie malerische Filmbilder eines Storyboards, das mit Licht und Schatten schnelle, beklemmende Szenen entwirft. Der verzweifelte Wahnsinn seiner späteren Gemälde ist aber schon in der früheren Folge „Der faschistische Alptraum“ (1965/66) wie vorweggeahnt: Da verreißen die Szenen schon zu einem Schrei, da wird Blut gekocht, schwarzweiß.

rola

Die Ausstellung „Bernhard Heisig Retrospektive“ ist bis zum 31. Dezember in der Berlinischen Galerie im Martin-Gropius -Bau zu sehen, Di bis So von 10-22 Uhr. Der Katalog kostet 48 Mark.