Gesetzesfest und ganz under cover

Bonner Koalition versucht mit neuen Geheimdienstgesetzen verfassungswidrigen Datenmißbrauch festzuschreiben / Allen Gesetzentwürfen fehlen präzise Aufgabenbestimmungen / „Nachrichtendienstliche Mittel“ werden pauschal erlaubt, ebenso schrankenloser Datenverbund zwischen Polizei und Geheimdiensten  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

I.

Ein fiktives Beispiel das Wirklichkeit sein oder werden könnte: Auf einer Demo gegen die Haftbedingungen politischer Gefangener fällt zwei Beamten des Verfassungsschutzes eine kleine Gruppe von Frauen ins Auge. Die Gruppe nennt sich „Lila Lola“. Sie ist dem Verfassungsschutz nahezu unbekannt und von ihm noch nicht als „extermistisch“ erfaßt. Ein paar Monate lang werden die Frauen heimlich beobachtet. Die Verfassungsschützer bekommen heraus, wer sie sind, wo sie wohnen, was sie arbeiten, welchen politischen Aktivitäten sie nachgehen, wer zu ihrem Freundeskreis zählt... Das durfte der Geheimdienst bisher. Das würde er nach dem geplanten neuen Bundesverfassungsschutzgesetz (BverfSchG) auch weiterhin dürfen.

Als eine seiner Aufgaben wird nämlich die „Sammlung und und Auswertung von Informationen, (...) über Betrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (...) gerichtet sind“ festgeschrieben. Was eine „Bestrebung“ ist und was die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ diese Auslegungen trifft vorwiegend der Verfassungsschutz selbst, und der orientiert sich an politischen Opportunitäten. „Verfassungswidrig“ kommentierte denn auch Spiros Simitis, hessischer Beauftragter für den Datenschutz, die völlig unpräzise Aufgabenbestimmung. Er fällte dieses Urteil auf einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsinnenausschusses im Juni in Bonn - fast alle seiner anwesenden KollegInnen pflichteten ihm im Kern bei.

Unklar bleibt auch, was Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) dürfen und was nicht. Arbeitet etwa eine der „Lila Lola„-Frauen in einem „Arbeitskreis Frieden“, so könnte sie auch schon vom BND erfaßt sein. Dem obliegt nämlich schon jetzt und auch gemäß §1 des Entwurfes eines Gesetzes für den Bundesnachrichtendienst (BNDG) unter anderem die „Sammlung und Auswertung von Informationen, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind“. Und unter diese weite Formulierung würden - wie schon bisher - etwa auch Kontakte zu kirchlichen Friedensgruppen in der DDR fallen.

Was der Verfassungsschutz über ein anderes Mitglied der „Lila Lola“ erfährt, leitet er an den MAD weiter. Zwar ist dieser Geheimdienst auch nach dem Entwurf für ein neues MAD -Gesetz (MADG) wie bisher nur „zur Sicherung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte“ zuständig. Dennoch würde er die Daten der Frau rechtmäßig speichern und verarbeiten: Ein Schwager des „Lila Lola„-Mitgliedes ist nämlich hier als US-Soldat stationiert. Damit fiele die Erfassung der Frau unter die sehr weitgefaßten Maßnahmen „zur Beurteilung der Sicherheitslage von Einrichtungen der verbündeten Streitkräfte“. II.

Die „Lila Lola„-Frauen werden gründlich beobachtet. Der Verfassungsschutz schleust eine V-Frau in die Gruppe ein. In ein paar Wohngemeinschaften installieren die Beamten Wanzen. V-Frau und Wanzen, aber auch Kameras und Richtmikrophone dürften nach den geplanten Geheimdienstgesetzen eingesetzt werden, wenn es sich dabei um „nachrichtendienstliche Mittel“ handelt. Festzulegen, was darunter fällt, überlassen die Entwürfe allerdings internen, nichtöffentlichen Dienstvorschriften. Kontrolliert werden soll der Einsatz dieser Mittel, wie auch die Telefon- und Postüberwachung, vom G10-Ausschuß des Bundestages. Der tagt allerdings nicht öffentlich.

Die Grünen sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Was dort besprochen wird dringt nicht nach außen. „Die Öffentlichkeit darf daher auch weiterhin nur raten, ob die Sprengung eines Loches in eine Gefängnismauer wie 1978 in Celle ein nachrichtendienstliches Mittel ist oder nicht“ - auf diese mögliche Tragweite der Mittelfreiheit weist das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ in einer Erklärung zu den neuen Geheimdiensten hin. Gegen die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts würde die Mittelfreiheit auf jeden Fall verstoßen. Auch die heimliche Informationsbeschaffung, so damals die Richter, sei ein Informationseingriff in die Rechte des Bürgers. Er bedürfe einer gesetzlichen Grundlage „aus der sich die Vorraussetzungen und der Umfang der Beschränkung klar und für jeden (...) erkennbar ergeben“. III.

Die Wohnung einer „Lila Lola„-Frau wird von der Polizei durchsucht. Es soll sich dort ein Türke versteckt halten, dem die Abschiebehaft droht. Bei der Gelegenheit finden die Beamten Flugblätter, die Solidarität mit hungerstreikenden RAF-Gefangenen bekunden. Dies teilen sie dem Verfassungsschutz mit. Der revanchiert sich, indem er der Polizei übermittelt, was die in die „Lila Lola“ eingeschleuste V-Person herausbekommen hat. Die Erkenntnisse über ein paar der Frauen hatte er zuvor schon BND und MAD mitgeteilt. Wenig später reicht er diesen Diensten außerdem Informationen nach, die er von verschiedenen anderen Stellen angefordert hatte: Vom städtischen Krankenhaus, in der eine Frau operiert worden war, vom Arbeitsamt, wo drei als arbeitslos gemeldet sind, von der Universitätsbibliothek, die alle Frauen benutzen. Umgekehrt informiert auch der Verfassungsschutz das Arbeitsamt über die mögliche „Verfassungsfeindlichkeit“ der dort gemeldeten Frauen.

Ein solcher, schier ungehemmte Datenaustausch war bisher auf der Grundlage von Anweisungen und Richtlinien möglich. Die neuen Geheimdienstgesetze erteilen ihm ausdrücklich Absolution. Jedenfalls befristet, erlaubt etwa das BVerfSchG Polizei und Geheimdiensten bei drohenden „erheblichen Beeinträchtigungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ ihre Datensysteme zu verbinden. „Das Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten verletzt der Entwurf in mannigfacher Weise“, dies befindet Alfred Emmerlich, Rechtsexperte der SPD-Fraktion im Bundestag. Ähnlich äußerten sich auch die meisten zur Anhörung geladenen Datenschützer und Rechtswissenschaftler.

In einem wichtigen Punkt ist die geplante Neuregelung des Datenaustausches sogar noch restriktiver als die geltende Rechtslage: Jede öffentliche Behörde - also etwa die Bibliothek, das Krankenhaus, das Arbeitsamt - könnte verpflichtet werden, dem Verfassungsschutz Infomationen über die von ihr erfaßten Personen zu übermitteln. IV.

Die „Lila-Lola„-Frauen vermuten, daß sie beobachtet werden. Sie fragen bei Verfassungsschutz, BND und MAD nach, ob und wenn ja welche ihrer Daten diese Stellen erhoben, gespeichert und verarbeitet haben. Die Auskunft wird ihnen verweigert. Wehalb, das begründet keiner der Dienste. Die Beamten könnten auch nach dem geplanten Bundesdatenschutz G (BDSG) auf dessen § 17 verweisen, der die Geheimdienste von der Auskunftspflicht entbindet.

Selbst der von den „Lila-Lola„-Frauen zur Hilfe gerufene Bundesbeauftragte für den Datenschutz würde nicht viel auszurichten vermögen: §17 Absatz 5 BDSG bestimmt zwar, daß ihm die Auskunft erteilt werden muß - allerdings nur die Auskunft über in Dateien gespeicherte Daten. Daten in konventionellen Akten zählen nicht dazu - obwohl der Verfassungsschutz gerade dort die meisten Informationen archiviert. Zwar hätten die Frauen nach den geplanten Geheimdienstgesetzen einen Anspruch darauf, daß falsche Daten berichtigt und nicht erforderliche gelöscht würden allerdings nur, soweit die Daten maschinell erfaßt wären. Überdies würde die Löschung allein den Diensten selbst obliegen. Und schließlich scheint der Anspruch auf Korrektur und Löschung von Daten, die die Betroffenen selbst nicht kennen, das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ eher zu verhöhnen - hatte doch selbst das Bundesverfassungsgericht bestimmt, daß mit diesem Recht keine Gesellschaftsordnung vereinbar wäre, in der Bürger nicht mehr wissen, wer was wann bei welcher Gelegenheit über sie weiß. „Die geplanten Auskunftsrechte bleiben sogar hinter dem derzeitigen Recht und der Praxis zurück“, so Ruth Leuze, baden-württembergische Datenschutzbeauftragte während der Anhörung in Bonn. Die meisten Geheimdienstler widersprachen. Ihnen gehen selbst die Datenschutzrechtlichen Bestimmungen dieser Entwürfe noch zu weit. V.

„Massiver Angriff auf den Rechtsstaat der die Thesen des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts in ihr Gegenteil verkehrt“ - so haben die in der ÖTV organisierten Richter, Staatsanwälte und Verfassungsschützer die geplanten Geheimdienstgesetze bezeichnet. Fast alle Datenschützer erklären wesentliche Punkte der Entwürfe als unvereinbar mit dem Grundgesetz. Das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ ruft zu breitem, organisiertem Widerstand gegen diese „erneute Gefährdung auf dem Weg zur restlosen geheimdienstlichen Erfassung“ auf. Dennoch wird die Koalition versuchen, die Gesetze so schnell und mit so wenigen Abstrichen wie möglich in geltendes Recht umzuwandeln. Denn diese Gesetze würden legitimieren, was heute schon gang und gäbe ist. Außerdem wären sie eine Garantie: Und zwar dafür, daß politischer Protest und Widerstand wieder ein ganzes Stückweit erschwert werden. Dafür, daß ein System verfestigt würde, welches Risikovorsorge um fast jeden Preis will - daß nicht vorwiegend der Gesetzgeber, sondern die Geheimdienste selbst bestimmen, was sie dürfen.