: Psychiatrie-Reform auf Halde?
■ Psychosoziale Arbeitsgemeinschaften und Irrenoffensive zunehmend frustriert über Psychiatrie-Politik des Senats / Gesundheitssenatorin Stahmer beruft sich auf Vorgaben des Finanzsenators
Diskussionsabende zum Thema „Psychiatrie“ verlaufen selten harmonisch - schon gar nicht, wenn die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Drei Stunden hatten Vertreter der Selbsthilfeorganisation „Irrenoffensive“ (IO), aber auch Mitarbeiter der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PsAGs) am Dienstag abend Zeit, in Anwesenheit von Gesundheitssenatorin Stahmer ihrem Unmut Luft zu machen. Am Ende der Debatte im Rathaus Schöneberg waren die Positionen so unvereinbar wie zuvor.
Die in den Koalitionsvereinbarungen angekündigten Reformen warten noch auf ihre Umsetzung. Eine „Perestroika in der Psychiatrie“ ist nicht abzusehen, konstatierte IO-Mitglied Peter Lehmann. Nicht nur die Interessengruppen reagieren auf die Aussitzpolitik der Gesundheitsverwaltung unzufrieden, auch der Koalitionspartner AL wird zunehmend ungehalten.
Immer wieder kritisiert wurde die vom Senat eingesetzte „Planungsgruppe Psychiatrie“, die mit der Fortschreibung des Psychiatrieplans beauftragt ist. Sie soll das erklärte Ziel, die Verlagerung der Verantwortung in die Bezirke bei Kürzung der Betten in den Kliniken und Ausbau des ambulanten Bereichs, umsetzen.
Bezirkspolitiker Oliver Schruoffenegger von der Alternativen Liste sieht, daß „da nach zwei Jahren überhaupt nichts rauskommt“ und fordert mehr Transparenz der Planungsarbeit dieser Gruppe, in der die Betroffenen noch immer ausgeschlossen sind.
Peter Lehmann hatte Grundsätzliches auch gegen rot-grüne Psychiatrie-Politik einzuwenden, weil sie auf Neuroleptika -Behandlung beruhe, die erwiesenermaßen schädlich sei. Als Modell einer Betroffenenbeteiligung könne er sich ein „freies Gremium aus Klinikpatienten“ vorstellen, das paritätisch in der Planungskommission vertreten sei. Ein neues Psychiatrie-Konzept hält er nur dann für gut, „wenn die Etablierten sagen, daß es schlecht ist“.
Der Anwalt der Betroffenen, Hubertus Rolshoven, fand die moderatere Formulierung: „Eine gelegentliche Beteiligung von Psychiatern kommt in Betracht.“ Ingrid Stahmer sah sich indes überfragt, wie die Planungkommission überhaupt zusammengesetzt sei. Sie war sich aber sicher, daß „da nicht nur konservative Psychiater sitzen“.
Der IO warf sie vor, daß eine plakative Selbstdarstellung noch lange keine Betroffenen-Politik sei. Auf die versprochenen Mittel für selbstverwaltete Einzelprojekte angesprochen, wie etwa das Weglaufhaus für Psychiatrie -Flüchtlinge oder den Ausbau der Krisendienste, wie sie von den PsAGs gefordert werden, sagte sie, es fehle an Geld. Ihr war dabei wichtig zu erwähnen, daß sie die Vorgabe vom Finanzsenator habe, einen gewissen Prozentsatz ihres Haushaltes für Investitionen zu verwenden, und die könnten nicht auf andere Bereiche übertragen werden. Die AL -Abgeordnete Gisela Wirths widersprach an dieser Stelle heftig. Sie wisse aus anderen Ressorts, daß diese Möglichkeit bestehe.
Anwalt Rolshoven bemerkte nach der Sitzung, „die Frau Senatorin läßt sich offenbar ihre Politik vom Finanzsenator vorschreiben“. Wenn sie investieren wolle, könne sie doch auch in ein Weglaufhaus investieren. „Da hätten wir gar nichts dagegen.“ Als nächstes Diskussionsthema der Runde steht eben dieses Weglaufhaus auf dem Programm.
lus
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