Häuserkampf in Tübingen

(...) Ein vor zehn Jahren besetztes Haus, die Ludwigstraße 15, wurde vom staatlichen Studentenwerk (StuWe Anstalt) gekauft. Die dort praktizierte Selbstverwaltung ist stark gefährdet, der neue Eigentümer will ein stinknormales Studentenwohnhaus daraus machen. Doch damit nicht genug: Hinter dem Haus befindet sich ein Garten, der von den BewohnerInnen der Ludwigstraße 15 sowie den NachbarInnen aus der Eugenstraße als Spiel-, Nutz- und Erholungsraum gebraucht wird (augenblicklich etwa 150 Personen). Dieser Garten soll nun nach dem Willen des Studentenwerks mit drei weiteren Häusern und entsprechend vielen Parkplätzen zugepflastert werden. Ein halbes Jahr lang haben sich die BewohnerInnen und ihre FreundInnen gegen die geplante Zerstörung der Selbstverwaltung und des Gartens gewehrt einen eigenen Bebauungsplan vorgelegt, verhandelt, Öffentlichkeitsarbeit gemacht... und nachdem das alles von den Verantwortlichen vom Tisch gewischt wurde, mit dem Bau einer Barrikade gegen die erwarteten Bautrupps begonnen. (...)

Erst die Barrikade konnte das Studentenwerk dazu bewegen, ein verhandlungsfähiges Angebot bezüglich einer Verpachtung der Ludwigstraße 15 vorzulegen. Der Verhandlungstermin war auf den 4.Oktober einvernehmlich festgesetzt. Allerdings war das Angebot nur ein neues Täuschungsmanöver. Am Dienstag früh stürmten Hundertschaften Göppinger Bullen die Barrikade und den Garten. Den wenigen anwesenden Leuten gelang es, sich in die Ludwigstraße 15 zurückzuziehen. Darauf bereiteten die Bullen mit einem Rammbock die Stürmung des Hauses vor. Die Leute im Haus gingen gemeinsam auf die Straße - freier Abzug war zugesichert. Die Bullen fingen sofort an, einzelne brutal herauszugreifen und zusammenzuschlagen. Ein Mann, der ein Kind zur Schule bringen wollte, konnte gerade noch das Kind ins Auto setzen, wurde dann gepackt und verprügelt. (...) Eine Abgeordnete der Grünen, die den Namen des Einsatzleiters und Dienstnummer der Bullen verlangte, wurde mit den Worten: „Hau ab, Mutti!“ weggestoßen. (...) Insgesamt wurden 13 Leute festgenommen, ED-behandelt, der Rest fotografiert. Es laufen jetzt Ermittlungsverfahren wegen Widerstands und Verdachts auf Landfriedensbruch.

Nach dem Einsatz begannen Bauarbeiter und Bullen mit dem Abräumen der Barrikade, des Zeltes, der Hütten, Obstbäume im Garten wurden mit Baggern zermalmt und um den geplanten Bauplatz ein zwei Meter hoher Zaun errichtet. (...)

Für die BewohnerInnen ist die ganze Entwicklung physisch und psychisch kaum zu bewältigen. Während der ganzen Tage war nicht klar, ob nicht der geringste Anlaß genügen könnte, damit die Bullen auch das Haus stürmen und räumen. Dazu ist es nicht gekommen - eine solche Situation kann sich aber jederzeit wiederholen - um so notwendiger eine ausführliche Berichterstattung auch in Eurer Zeitung - sofern Euch Bewegungen in der BRD und mögen sie angesichts von ÜbersiedlerInneneuphorie und angesagter Staatshuldigung noch so anachronistisch erscheinen, überhaupt etwas bedeuten.

Seit gestern ist die Lage etwas entspannter - ein Teil der Bullen ist abgezogen, das Licht brannte immer nur kurz zur Demonstration, die Bullen kamen auch nur kurz in den Garten, angeblich wegen Vermummung, zogen dann wieder ab und ließen eine Puppenspiel-Veranstaltung ungestört.

Besonders erfreulich war: die BewohnerInnen des Nachbarhauses, die genauso vom Baulärm geplagt und durch den Zaun vollkommen vom Garten abgeschnitten sind, haben beschlossen, ihrem Vermieter, besagtem Studentenwerk, keine Miete mehr zu zahlen und sich künftig selbst zu verwalten. Das ist um so bemerkenswerter, als die BewohnerInnen von ihren NachbarInnen bislang nur wenig Unterstützung erfahren haben. (...)

Nachdem schon das ganze Jahr einiges in Tübingen gelaufen ist, worüber Ihr nur extrem knapp und entstellend geschrieben habt: nächste Woche ein Tagesthema zur Ludwigstraße 15 und Häuserkampf in Tübingen.

Unser Kampf kostet Geld. Unser Spendenkonto: Kreissparkasse Tübingen, Konto-Nr. 871 545

Matthias Wonde, Tübingen