: James Dean in der Wüste
■ Zur diesjährigen Mannheimer Filmwoche
Zwei mal ein Zimmer mit jeweils zwei Personen - zwei Kammerspiele im Kino. Gemeinsam ist ihnen, daß sie ihr Thema konzentriert angehen. Wie sie es tun, ist unterschiedlich.
Das Ende der Welt: Dorota Kedzierzawska beobachtet zwei alte Menschen. Gesprochen wird kaum. Aber durch ihre Bild -Komposition von Gesten, Blicken und Gegenständen schafft die polnische Regisseurin in ihrem knapp einstündigen Film eine Atmosphäre, die Worte unnötig macht. Zwischen den beiden ist eine seltsame Spannung. Er boykottiert das gemeinsame Essen. Sie tut, als ginge sie aufs Klo, schleicht zur Küchentür zurück und beobachtet, wie er doch ißt, hastig am Herd und aus dem Topf. Einmal geht er aus dem Haus, und als er zurückkommt, hat sie das Zimmer demoliert. Sie sitzt ruhig am Tisch und lächelt.
Die internationale Jury unter Vorsitz von Peter W. Jansen verlieh der Polin einen „Filmdukaten“ in Höhe von 2500 Mark. Daß die junge Berlinerin von der Film- und Fernsehakademie, Iva Svarcova, keinen bekam, ist mehr als ärgerlich. Ihr kleiner Film With Love Rita erzählt in einer halben Stunde mehr als andere in 90 Minuten. Der Ort: das Schlafzimmer eines Großvaters in einer kleinen südböhmischen Stadt, ein Bett, Stuhl, Fernseher. Ab acht Uhr abends sieht die Kleine das Gerät nur noch von hinten - Jugendverbot. Eine Welt für sich: Draußen streiten die Eltern, im Fernsehen das Wiener Treffen von Chruschtschow und Kennedy, der Großvater träumt von Amerika und Rita Hayworth, das Mädchen, sieht ihm zu. Als Höhepunkt der ebenfalls fast wortlosen kleinen Filmerzählung zeigt das Fernsehen einen Rita Hayworth-Film. Iva Svarcova hat Rita einen neuen Text gegeben. Sie singt nur für den Großvater, und der schläft selig ein.
In der Mitternachtsdiskussion erzählt die Filmemacherin, daß sie wegen des kurzen Rita-Schnipsels urheberrechtliche Schwierigkeiten mit den Amerikanern hat. Wo und wann ihr Film zu sehen sein wird, ist daher ungewiß. Wie überteuert die großen amerikanischen Filmverleihe, Verleger und Platten -Labels ihre Rechte handeln, war ein in den Diskussionen immer wiederkehrendes Thema. Dominus, der Film des Russen Alexander Khvan, war im Wettbewerbsprogramm angekündigt, aber der amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury ließ durch seinen Verlag „Njet“ sagen. Khvan hatte eine seine Erzählungen als Vorlage benutzt.
Auf dem Mannheimer Festival kann man Entdeckungen machen. Da nur Erstlinge um den Großen Preis konkurrieren, hat man wenig Vorinformationen und unter Umständen Glück: Anfang der Achziger Jahre stellte Jim Jarmusch seinen Erstling Permanent Vacation vor; vor drei Jahren erlangte Konstantin Lopuschanskij mit seinen Briefen eines Toten den Großen Preis und weltweite Bekanntheit.
Lopuschanskij saß dieses Jahr in der Jury, sein neuester Film kam frisch aus Moskau und wurde außer Konkurrenz in einer Sondervorstellung gezeigt. Ob dem jungen Amerikaner Dieter Weihl eine ähnliche Karriere beschieden sein wird man will es kaum glauben. Er durfte sich dieses Jahr den Hauptgewinn von 20.000 Mark abholen, die Prämierung von China Lake wurde bei der Preisverleihung mit Buh-Rufen quittiert. Mit gutem Grund. In der Wüste von Nevada steht ein großer Wohnwagen. Vater und Sohn sterben fast den Hitzetod. Der Vater trinkt Dosenbier und sieht fern, Sohn Scooter weiß nicht, was er tun soll. Eines Tages tauchen Edna und Laura auf - die Schwester des Vaters und seine Tochter, die bei der Schwester lebt. Die Tante ist fett und gebieterisch. Die junge Laura (Amilia Richer-Hart: eine Entdeckung) sagt lange nichts. Auch sie paßt zur Provinzödnis. Aber als sie zum ersten mal den Mund aufmacht, wird alles anders. Schließlich bricht sie mit ihrem Bruder zu einer Wüstentour auf, und in Las Vegas ist es endlich soweit: Laura rechnet mit Amerika ab, laut und lang.
Joe Toppe spielt Sohn Scooter. Er spielt ihn so, als wolle er den Tod von James Dean vergessen machen. Das klappt natürlich nicht, Regisseur Weihl hat zudem eines nicht berechnet: James Dean ist längst von der Werbeindustrie vereinnahmt. So wartet man immer darauf, daß auch Scooter einmal zum Eisschrank geht und die tiefgekühlten Jeans rausholt. Und der deutsche Kameramann Jasper Marquardt filmte die Wüstenlandschaft so, wie sie ist: Zu schön um wahr zu sein. In der Begründung der Jury heißt es, der Film erzähle „eine Geschichte der Befreiung aus der Resignation einer verwüsteten Gesellschaft, die in ihrem eigenen materiellen und seelischen Müll zu ersticken droht.“ Die Dokumentarfilme
Zwei Filmhochschüler aus München, Nikolaus Remy-Richter und Stefan Tolz, zog es in den hohen Norden. Ihr Ziel: Lübeck und die Auseinandersetzungen in der Hansestadt um Müll- und Atommülltransporte, auf See und in die DDR-Deponie Schönberg. Die Hauptdarsteller des Films: Bürgerinitiativen und einige ihrer Vertreter auf Schiffsmasten; die Atomlobby auf ihrer Jahrestagung in Lübeck; Bürgermeister Bouteiller, der sich gegen die CDU-Ratsmehrheit mit den Initiativen solidarisiert und der Lobby auf ihrer Tagung einfache Wahrheiten sagt. Den beiden Filmhochschülern ist dabei mehreres gelungen. Sie konnten während der Tagung filmen, wie die atomeigene „Camerata Nucleara“ (kein Witz!) Mozart spielt und der Vorsitzende hinterher mit fast ersterbender Stimme meint, daß diese Musik doch Trost und Hoffnung auf eine Zukunft spende (auch kein Witz!). Sie filmten den straßenkehrenden Lübecker Bürger, der nach einer Aktion der Initiativen darauf beharrt, daß er der Angeschmierte ist: Er könne jetzt wieder den ganzen Dreck wegmachen, obwohl er Straßenreinigungsgebühren bezahle (so ganz kann man sich seiner Argumentation nicht entziehen). Und sie haben ihren Stoff dramaturgisch aufgearbeitet, so daß die Dokumentation wie eine Geschichte entsteht - eine knappe Stunde Unterhaltung vom Feinsten.
Den Polen Andrzej Fidyk hat es noch weiter weg getrieben. Er bekam eine Drehgenehmigung in Nord-Korea, die dortigen Machthaber erhofften sich wohl einen Werbefilm. Sie scheinen nicht zu wissen, daß polnische Filmemacher darauf spezialisiert sind, politische Mißstände ironisch verschlüsselt und kunstvoll verpackt ins Bild zu bannen. In seiner Defilada (Die Parade) mußte Fidyk allerdings nichts verpacken: Die Realität des totalitären Staats wirkt so fiktiv, daß der Dokumentarfilm zur Orwell-Groteske wird die Jury ließ sich das einen Filmdukaten kosten.
Lopuschanskijs zweiter großer Film Der Museumsbesucher wird für Aufregung sorgen, wenn er (voraussichtlich) Anfang nächsten Jahres in unsere Kinos kommt. Denn er hat noch radikaler als in seinem Erstling ein religiös -philosophisches Drama gestaltet, und entläßt seinen Helden in die Welt nach dem atomaren Inferno. Dabei zeigt er grandios-bedrückende Bilder: Manche leben zwar noch in Häusern, die meisten aber hausen mißgestaltet und genetisch deformiert auf Müllhalden. Lopuschanskij hat auf einer Mülldeponie bei Leningrad gedreht, das Gros seiner Darsteller kommt aus umliegenden psychiatrischen Kliniken. Der irrende Held wird langsam auf die Seite der Deformierten gezogen: Eine Zeitlang hat er mit den Häuserbewohnern versucht, die Zerstörung zu ignorieren und das Rest-Leben zu genießen, jetzt steht ihm der Sinn nach Religion. Aber keine der Überlebensstrategien ist bei Lopuschanskij ein Ausweg.
Jürgen Berger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen