„Lo Schiaffo“ - Italiens Allheilmittel

 ■  Aus Rom Werner Raith

Gianfranco von „Coblers Radioteca“ dreht die Stereoanlage zwischen seinen Händen hin und her, beäugt sie auch von unten. „Kaputt?“ Kaputt: läuft zwar, gibt aber keinen Ton von sich. „Haben Sie da mal kräftig draufgehauen?“ Natürlich nicht - die tausend elektronischen Teilchen darin... „Ach was“, sagt Gianfranco und versetzt dem Apparat blitzschnell, rechts, links, zwei kräftige Maulschellen, worauf das Gerät wieder zu spielen beginnt.

„Da war nur irgendwo Dreck drin“, sagt Gianfranco. Kosten: keine. „Man soll es immer zuerst mit einer Ohrfeige versuchen“, klärt er mich auf, „das ist wie bei den Menschen.“

Lo schiaffo, die Ohrfeige, besser mit dem bajuwarischen „Watschen“ übersetzt: Italiens Allheilmittel, wenn irgend etwas nicht funktioniert. Ausländische Touristen kennen sie speziell vom Telefonieren, wenn plötzlich in der Nebenzelle ein Höllenlärm losbricht: Da funktioniert ein Apparat nicht oder er will die eingeworfenen 200-Liremünzen nicht schnell genug wieder hergeben. Das wäre oft nur eine Frage von Sekunden: nach dem Einhängen den roten Knopf drücken, das Restgeld kommt heraus. Aber da es eben hin und wieder Automaten gibt, die Eingeworfenes auch ohne Gegenleistung behalten, bekommt einfach jeder Apparat schon mal vorab eine geschmiert.

Das Erstaunliche: Das System funktioniert in der Mehrzahl der Fälle - die Apparate, sichtlich verschreckt, werfen die Münzen selbst nach hartnäckiger Weigerung am Ende unter dem Wirbel immer stärkerer Schellen doch wieder aus (manchmal mehr als man eingeworfen hat); und obwohl gut ein Drittel der italienischen Telefonzellen permanent defekt ist, führt die staatliche Telefongesellschaft SIP nicht einmal ein halbes Prozent der Schäden auf Malträtierung durch Ohrfeigen zurück: Meist gehen statt dessen die Relais und Umsetzer in den Zentralen kaputt, dort, wo keiner mit Watschen zu reparieren versucht.

Oder etwa heimlich doch? Die Versuchung ist groß, denn lo schiaffo gilt als fast unfehlbar: Der prüfenden Ohrfeige bedient sich im Pannenfall der Automechaniker - zum Schrecken deutscher Mercedes- oder BMW-Fahrer. Doch: „Wenn das der Karre was ausmacht, wäre sie sowieso bald kaputtgegangen.“ Den blitzschnellen Schlag auf lädierte Gelenke beherrscht auch der Medikus. „Man muß erst mal erkennen, wie weh das wirklich tut.“ Kinder lernen lo schiaffo bereits an der Mutterbrust kennen: Bei Milchstau wird nicht etwa durch sanftes Drücken die verlegte Stelle massiert, sondern durch Kläpse aktiviert, und meist bekommt auch der Sprößling noch eine ab, als Aufforderung, künftig umsichtiger zu saugen. Das eben zum Laufen befähigte Kind erkennt, daß der nun schutzlos preisgegebene Po vor allem dazu dient, aufmunternde oder tadelnde, mitunter auch schmerzlich liebkosende Klapse (come sei bello - patsch) zu empfangen.

Unmuts-, aber auch wohlwollende Rüffel dem Sitznachbarn gegenüber äußern auch wohlerzogene Personen mit einem Hauch von schiaffo: die Handbewegung so knapp über die Haare hinweg, daß man den Wind, im Falle besonderer Vertraulichkeit einen Wischer spürt. Allzweckmittel schiaffo - der Wirkungskreis beschränkt sich nicht auf bloße Aufmunterung oder Strafe: Als der Grüne Pippo Onofrio eine Ex-Kollegin kritisierte, die sich als Pressesprecherin vor den Karren eines notorisch mafiosen Bauunternehmens in Palermo hatte spannen lassen, versetzte ihm diese während einer Tagung eine kräftige Maulschelle. Wonach ihm der Polizeipräsident Palermos flugs eine Eskorte verpaßte, denn: „Der schiaffo in pubblico - die Ohrfeige in der Öffentlichkeit - stellt im Mafiakodex die schärfste aller Maßregeln dar und bedeutet die letzte Warnung vor der physischen Eliminierung.“

Da ist der neuerdings zum Fernsehrenner gewordene schiaffo eines Tele-Werbespots denn doch vergnüglicher: Ein Junge fordert seinen Papi so lange auf, doch auch mal von der feinen Süßspeise zu probieren, bis der's tut und „Gut, gut“ sagt: Da haut ihm der Filius eine herunter: „Ma non parlare con la bocca piena„ (Du sollst doch nicht mit vollem Mund reden).

Die Erhaltung des schiaffo auch für die nächste Generation ist mithin schon einigermaßen gesichert.