Äthiopien vor der nächsten Hungersnot

■ UN-Welternährungsprogramm läutet die Alarmglocken

Asmara (afp) - Der verdörrte Haufen Mohrenhirse sollte eigentlich die ganze Familie während der nächsten Monate ernähren. Der 76jährige Bauer Gabramedhin Wolde Selassie aus Asmara, der Hauptstadt Eritreas, steht hilflos neben der gesamten Ernte dieses Sommers. Der Regen ist in den letzten Monaten ausgeblieben im Norden Äthiopiens. Der Weizen und die Gerste, die er im Juni gesät hatte, sind völlig eingegangen. Eritrea steht am Rande einer neuen, verheerenden Hungerkatastrophe. Selassie sagt, eine solche Dürre habe er noch nicht erlebt. Seine einzige Hoffnung sei, daß „großzügige Menschen“ für ihn sorgen. Im Südosten von Asmara bietet sich dasselbe bedrückende Bild - Kilometer um Kilometer staubige, kahle Erde, ab und zu ein Haufen ausgedörrter Überreste der Ernte.

Die äthiopische Regierung rief die internationale Gemeinschaft bisher noch nicht um Nahrungsmittelhilfe an. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) hat jedoch bereits die Alarmglocken geläutet. Der Direktor des WFP für Äthiopien, David Morton, warnte vor einer Hungersnot im Ausmaß von 1984/85, bei der Hundertausende von Menschen starben, wenn nicht bis März nächsten Jahres Hilfe kommt. Das WFP begründete Schätzungen, nach denen 1,7 Millionen Menschen Anfang 1990 vom Hungertod bedroht sind. 200.000 Tonnen Nahrungsmittel werden nötig sein, um die 1,5 Millionen Menschen in Eritrea zu ernähren und 20.000 Tonnen für die schätzungsweise 200.000 Menschen, die aus der benachbarten Provinz Tigre kommen werden, um in den Hilfszentren in Eritrea um Essen zu bitten. Die letze Hilfe von 27.000 Tonnen Lebensmitteln kam im vergangenen Dezember an. Die Dürre von 1987 hatte im darauffolgenden Jahr zu einer weltweiten Hilfsaktion geführt, und eine erneute Unterstützung schien 1989 nicht notwendig.

Da die Dürre immer spürbarer wird, beginnen die Getreidepreise zu steigen und die Viehpreise zu fallen, denn die Bauern sind gezwungen, ihr Vieh zu schlachten, bevor es vielleicht verhungert. Die Nahrungsmittelvorräte in Eritrea werden knapp. Das Sekretariat der katholischen Kirche in Äthiopien war im vergangenen Monat nicht in der Lage, den Vertriebenen des äthiopischen Bürgerkriegs Nahrungsmittel auszuteilen. 130.000 Menschen flüchteten vor den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der „Eritreischen Volksbefreiungsfront“ (EPLF). Im Moment herrscht ein Waffenstillstand, da am 18. November erste Friedensgespräche in Nairobi beginnen sollen. Aus Tigre strömten in den letzten Monaten 36.000 Menschen in die nördliche Provinz. In Asmara, der zweitgrößten Stadt Äthiopiens, wurde inzwischen das Trinkwasser rationiert. Das Rote Kreuz, das sonst bis zu 10.000 Menschen versorgt, teilt schon seit Juni kein Essen mehr aus. Nur der Hilfsorganisation der Regierung gelingt es bislang noch, Nahrungsmittel bereitzustellen.

Veronica Forwood