„Die Zukunft der CSSR ist unvorhersehbar“

■ Vaclav Havel, Träger des Friedespreises des Deutschen Buchhandels, sieht die Regierung der CSSR in der Krise

Prag (afp) - Während ihm in Frankfurt in Abwesenheit feierlich der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen werden soll, wird der Schriftsteller und Dissident Vaclav Havel den Sonntag in seinem Landhaus in Hradecek, hundert Kilometer nordöstlich von Prag, verbringen, um dort ein im letzten Herbst begonnenes Theaterstück zu beenden. Dem 53jährigen Oppositionellen wurde von den tschechoslowakischen Behörden der Kurzbesuch in der BRD nicht genehmigt.

Havel beurteilt das Verhalten der Behörden ihm gegenüber als zwiespältig. „Es kann sich ergeben, daß ich mich in sechs Monaten im Gefängnis wiederfinde, aber ebensogut, daß man eines meiner Stücke aufführt, beides ist möglich.“ Die Werke des Schriftstellers sind seit dem Prager Frühling 1968 in der Tschechoslowakei verboten. Die politische Situation in der Tschechoslowakei bewertet er als widersprüchlich. „Die Regierung macht eine Krise durch, und die Zukunft ist unvorhersehbar.“ Havel soll nach gesicherten Informationen vom staatlich anerkannten Institut für Kurzfilme, das von einem Sohn des KP-Generalsekretärs geleitet wird, um ein Interview gebeten worden sein. Das wäre ein Novum.

Zum 53. Geburtstag des Schriftstellers am letzten Samstag gelang es Freunden Havels, Geburtstagsgrüße in das Parteiorgan 'Rude Pravo‘ zu schmuggeln. In der Beilage der Zeitung erschienen unter Familienanzeigen ein Foto Havels und Geburtstagswünsche, die an einen gewissen Ferdinand Vanek gerichtet waren. Obwohl dieser eine landesweit bekannte Figur aus einem der Stücke Havels ist, ließ die Redaktion die Anzeige durchgehen. In dem Text wünschten die „Mitarbeiter und Freunde“ „beruflichen Erfolg für die Zukunft“.

Der Gründer der Charta77 mußte sich nach seiner Freilassung aus der Haft am 17.Mai wiederholt Überprüfungen der Polizei unterziehen. Havel hat die Hälfte der achtmonatigen Gefängnisstrafe abgesessen, zu der er nach der Teilnahme an einer Gedenkkundgebung für Jan Palach verurteilt worden war.