Formalstreit um Ausländerwahlrecht

Bundesverfassungsgericht verhandelte über Unions-Klage gegen das kommunale Ausländerwahlrecht  ■  Aus Karlsruhe F. Forudastan

Zu einer von Politikern und Medien mit Spannung erwarteten Verhandlung über das Kommunalwahlrecht für Ausländer ist gestern das Bundesverfassungsgericht zusammengetreten. Wenn die höchsten Richter der Nation heute mittag ihre Entscheidung verkünden, wird es jedoch noch keine endgültige Klarheit darüber geben, ob das seit Jahren von Ausländergruppen, Kirchen, Gewerkschaften, SPD und Grünen geforderte Wahlrecht für Ausländer verfassungsmäßig ist oder nicht. Denn das Verfassungsgericht wird nur über einen Antrag auf einstweilige Anordnung entscheiden, den 224 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts erwirken wollen. Gibt das Bundesverfassungsgericht diesem Antrag der CDU/CSU-Fraktion statt, so bedeutet das erst einmal nur, daß die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein am 25.März 1990 entweder verschoben werden oder die Ausländer nicht mitwählen dürfen. Lehnt sie den Antrag ab, wird gewählt. Zu der umstrittenen Grundsatzfrage der Verfassungsmäßigkeit eines Kommunalwahlrechts für Ausländer wird das Gericht dann erst in einem späteren Hauptsacheverfahren Mitte nächsten Jahres Stellung nehmen. Heute haben die acht höchsten Richter des 2. Senats lediglich darüber zu befinden, ob angesichts der ungeklärten Verfassungslage der Schaden größer wäre, wenn Ausländer mitwählen Fortsetzung auf Seite 2

dürften - oder wenn sie es nicht dürften.

„Verfassungspolitische Probebohrung stoppen“ - unter diesem Motto brachte gestern die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihren Antrag vor dem Bundesverfassugnsgericht vor. Für die Union ist nämlich klar: Wirkliches Ziel von Schleswig-Holstein und der SPD über

haupt sei das Ausländerwahlrecht auf allen politischen Ebenen. Diesem „Durchstich“ wolle die Fraktion mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung und einer gleichzeitig eingebrachten Normenkontrollklage Einhalt gebieten.

Daß das Wahlrecht zu allen Volksvertretungen nur den Deutschen zustehe, wurde in den ingangsplädoyers mit Argumenten belegt, die den Nationalstaatsgeist ds 19. Jahrhunderts beschworen. Für den Prozeßbevollmächtigten der Unionsfraktionen, den Staatsrechtslehrer Josef Isensee, etwa ging es bei der Frage des Ausländerwahlrechts um die „Identität des deutschen Volkes“. Das Wahlrecht von der deutschen Staatsangehörigkeit abzulösen, bedeute, dem deutschen Staatsvolk seine demokratische Selbstbestimmung und Selbstfindung zu verwehren. Die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung begründete er so: „Es würde ein schwerer Nachteil

entstehen, wenn im Frühjahr erst gewählt und dann später das Wahlrecht für Ausländer für verfassungswidrig erklärt würde“. Die kommunalen Volksvertretungen wären dann verfassungswidrig zustandegekommen. Ihre Entscheidungen blieben dennoch wirksam. Außerdem müßten dann Neuwahlen stattfinden.

Die schleswig-holsteinische Landesregierung, u.a. durch Innenminister Hans-Peter Bull vertreten, stritt keineswegs mit großer Verve für ihr neues Kommunalwahlrecht, das anders als in Hamburg oder in Berlin geplant ohnehin nur für insgesamt 6.723 in Schleswig-Holstein lebende Iren, Norweger, Dänen, Schweden, Niederländer und Schweizer gilt. Daß nach einer verfassungsrechtlichen Entscheidung in der Hauptsache die Kommunalwahlen eventuell wiederholt werden müßten, betrachtete Schleswig-Holstein nicht als schweren Nachteil.