Druckerschwärze gegen Kokainbomben

Kolumbiens zweitgrößte Tageszeitung, 'El Espectador‘, ist ein Erbfeind der Drogenmafia / Kokainbarone ermordeten Chefredakteur und legen Bomben / Trotz ständiger Bedrohung und neuem Ultimatum klagt 'El Espectador‘ weiter an  ■  Aus Kolumbien C. Krauthausen

Gewehr im Anschlag steht ein Soldat auf dem Flachdach des zweistöckigen Zeitungshauses und blickt auf die zerbombten Reste einer Tankstelle. Wer sich in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota den Einrichtungen der liberalen Tageszeitung 'El Espectador‘ nähert, könnte fast meinen, das Land befände sich in der Endphase eines Krieges, und es gelte nur noch, dieses eine Gebäude zu schützen. Drei Militärkontrollen sind zu passieren, bevor man die Eingangspforte erreicht. Die Sicherheitsmaßnahmen sind nicht übertrieben - nur „etwas verspätet“, wie ein Redakteur meint.

'El Espectador‘ gehört in Kolumbien zu den wenigen, die sich den Kampf gegen die Drogenmafia wirklich zu Herzen genommen haben - und dafür die Gewalt der Kokainbarone zu spüren kriegen. Am 17.12.1986 erschossen Killer der Drogenkartelle den Chefredakteur und Verleger Quillermo Cano. Im März 1989 ermordeten sie Hector Giraldo, den Anwalt der Zeitung. Sechs Monate darauf, am 2.9.1989, explodierten rund 55 Kilogramm Sprengstoff gleich neben dem Zeitungshaus in einer Tankstelle. Und der Terror nimmt kein Ende: Dienstag wurden in der Zwei-Millionen-Stadt Medellin die für den Zeitungsvertreib zuständigen Angestellten Miquel Solar und Martha Luz Lopez ermordet. Die Kokainbarone drohen damit, weitere Mitarbeiter der zweitgrößten kolumbianischen Zeitung zu ermorden, wenn nicht der Vertrieb in Medellin, dem Sitz eines mächtigen Kokainkartells, eingestellt wird und die Angestellten binnen drei Tagen Medellin verlassen. Das wird mit Sicherheit nicht passieren.

Luis de Castro vom Justizressort meint trocken: „Es handelt sich um eine Erbfeindschaft.“ Er verschwindet im Archiv und kehrt mit einem vergilbten Zeitungsausschnitt zurück: „Schauen sie her, dieses war unsere erste Meldung über den derzeit mächtigsten Kokainbaron, Pablo Escobar. Das Datum rechts oben zeigt 11.Juni 1976. Kokain war damals in Kolumbien noch kein großes Tehma. Die Meldung verzeichnet die Beschlagnahmung von 30 Kilogramm Kokain und die Verhaftung von sechs Rauschgifthändlern. Auf dem dazugehörigen Foto sieht der Kleinkriminelle Pablo Escobar jungenhaft und unschuldig aus. Der heute meistgesuchte Mensch in Kolumbien wurde damals nach zwei Tagen wieder freigelassen - der Vorfall vergessen. Erst 1982 tauchte Pablo Escobars Name wieder aus der Versenkung auf: Er war zum Kongreßabgeordneten der Liberalen Partei gewählt worden. Mit einer Auflage von über 200.000 landesweit vertriebenen Exemplaren schlug daraufhin 'El Espectador‘ 1983 zu und veröffentlichte ein Dossier der Verhaftung in den siebziger Jahren. Die politische Karriere des ehrenwerten Abgeordneten war schlagartig dahin. Diese bittere Niederlage wird der zum steinreichen Mann aufgestiegene Pablo Escobar 'El Espectador‘ wohl nie verzeihen. Und die Verleger denken nicht daran, sich zu entschuldigen. Im Gegenteil: von der vielgelesenen Meinungsseite aus bezichtigen sie die Kokainbarone und ihre Helfershelfer in Staat und Gesellschaft immer wieder, Kolumbien in den Abgrund zu stürzen.

„Hauptankläger der Nation“ wurde 'El Espectador‘ einmal genannt: Korruption und Drogenmafia, Drogenmafia und Korruption sind die Themen, die die Leitartikel beherrschen. Dabei kommen Schattierungen, die nicht in das Schwarzweiß -Schema des Kampfes gegen die Kokainbarone passen, oft zu kurz. Verständlich erscheint diese Zeitungspolitik bei den jetzigen Chefredakteuren: Juan Quillermo und Fernando sind Söhne des ermordeten Quillermo Cano. Demokratisch ist 'El Espectador‘ trotz der Besessenheit ihrer Redakteure. Auf zwei Meinungsseiten wettern linke und rechte Kommentatoren täglich über das komplizierte kolumbianische Tagesgeschehen. Unter ihnen befindet sich auch Kolumbiens derzeit bissigster Kolumnist: der schwule und marxistische Wirtschaftswissenschaftler Jorge Child. Er läßt keine Gelegenheit aus, um über den US-Imperialismus und Kokainbarone herzufallen, gleichzeitig aber auch eine Legalisierung des Kokains einzufordern. Der tapfere alte Mann mußte wegen zahlreicher Todesdrohungen schon einmal ins Ausland flüchten. Doch er kehrte zurück. „Sequimos adelante“ („wir machen weiter“) - das war im 'El Espectador‘ schon oft die Schlagzeile auf der ersten Seite.