Büchners Endspiel

■ „Dantons Tod“ im Bochumer Schauspielhaus

Gerhard Preußer

Die deutschen Regisseure inszenieren im Gleichschritt, der Jubiläumskalender kommandiert. Büchners Dantons Tod ist das Pflichtstück im diesjährigen Inszenierungswettbewerb. Prominenteste Teilnehmer: Klaus-Michael Gruber in Paris, Ruth Berghaus in Hamburg, Hans Hollmann in Düsseldorf, Frank -Patrick Steckel in Bochum. Daß es mehr sein könnte als das Diktat der Jahreszahl, was uns dazu nötigt, den Tod der Revolution auf der Bühne zu vervielfachen, wurde dabei bisher nicht deutlich.

Frank-Patrick Steckel, der Bochumer Intendant, hatte eine Konzeption angekündigt, die deutlich macht, daß er Pflicht und Kür verbinden wollte: Büchners Geschichtsdrama sollte zusammen mit Heiner Müllers Anti-LehrstückMauser an einem Abend aufgeführt werden. Der Plan scheiterte. „Die Aufgabe war zu groß“, heißt es im Programmheft. Aber das Konzept blieb. Heiner MüllersMauser ist der Schnittbogen, nach dem sich Steckel und sein Dramaturg Urs Troller, die gemeinsam für die Inszenierung verantwortlich zeichnen, Dantons Tod zurecht schneiden. Was übersteht, fällt unter den Tisch. Heiner Müllers Stück ist seinerseits geschneidert nach dem Modell von Brechts Lehrstück Die Maßnahme. Müller verschärft Brechts Debatte um die Rechtfertigung revolutionärer Gewalt und konkretisiert sie historisch im russischen Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution. Der Revolutionär, der nicht mehr kaltblütig tötet, sondern von Mitleid und Tötungslust übermannt wird, muß selbst getötet werden. Aber er muß zur Einsicht in die Notwendigkeit seines Todes gebracht werden. Erst dann wird er getötet. Das ist die Geschichte des anonymen Revolutionärs in Witebsk, und das ist die Geschichte Dantons, so wie sie in Bochum erzählt wird. Der quälende Weg zum Einverständnis mit dem Sieg der Feinde, der Kampf zwischen Lebensmüdigkeit und Todesfurcht, der aus der Einsicht in die moralische Schuld der Revolution folgt, das Festhalten an der Offenheit der geschichtlichen Entwicklung noch in der Resignation, das Beharren auf der Unvollendetheit des Menschen auch nach dem Verlust der Utopie - das sind die Themen der Bochumer Danton -Inszenierung.

Um das Stück auf sie zu konzentrieren, wurde etwa die Hälfte des Textes gestrichen. Alle lauten Szenen der öffentlichen Revolutionsgeschichte fehlen: keine Szene im Jakobinerklub, keine im Nationalkonvent, keine vor dem Revolutionstribunal. Übrig bleibt ein leises Kammerspiel. Danton (Wolf Redl): ein alter Mann, resigniert nicht aus Schwäche, sondern aus Einsicht, ein Genießer, der genug genossen hat. Die Dantonisten: eine gescheiterte revolutionäre Brigade. Ihre Gegenspieler bleiben unsichtbar. Nur Robespierre (Wolfgang Michael) tritt noch in einer Szene Danton entgegen. Aber Robespierres und Dantons Monologe am nächtlichen Fenster folgen in parallelen Arrangements kurz aufeinander, so daß deutlich wird: beide sind sich ihrer historischen Fragwürdigkeit bewußt. Danton gibt auf, Robespierre macht weiter, Untergangsstimmung, Thermidorstimmung aber auch bei ihm. So sind alle rhetorischen Glanznummern und aller greller Revolutionswirrwarr aus der Inszenierung verbannt.

Steckels Konzept ist radikal, aber nicht eigentlich neu. Die Regiegrößen der fünfziger Jahre, Schalla, Stroux, Sellner, haben mit etwas mehr Respekt vor dem Text ähnliche Konzeptionen verfolgt. Unter „Inszenierungen des deterministischen Lebensgefühls“ könnte man auch Steckels Arbeit in die Rezeptionsgeschichte des Danton-Dramas einordnen. Konsequenterweise basiert Susanne Raschigs Bühnenbild für die Bochumer Inszenierung 1989 auf demselben Kupferstich aus der Revolutionszeit wie das Bühnenbild von Schallas Bochumer Inszenierung von 1949: ein Innenraum mit großen Türen und einem riesigen Tisch. Der Existentialismus war der intellektuelle Hintergrund dieser allen Massenszenen abholden Inszenierung der Nachkriegszeit. Und auch heute bietet das Programmheft neben Texten Heiner Müllers Zitate von Camus und Malraux als Schlüssel zur Inszenierung an. Vorwärts mit Steckel in die fünfziger Jahre?

Steckels Stil ist verschrien als düster, statisch, untheatralisch. Diesem Ruf macht die Inszenierung alle Ehre. Das wenige Licht, das die Bühne in matte Dämmerung hüllt, kommt überwiegend von der Seite wie weiland bei Rudolf Noelte. Alle Bewegungen sind gemessen, Requisiten gibt es fast gar keine. Die Inszenierung zwingt zu einer Aufmerksamkeit, die auch für ein Premierenpublikum außergewöhnlich ist. Robespierre knetet beim Disput mit Danton seine Finger mit einer unterdrückten Nervosität, zu Beginn seines Monologs hebt er den Kopf und blickt ins Licht, so daß seine Pupillen glitzern: optische Effekte knapp über der Schwelle der Wahrnehmbarkeit. Danton quält sich mit seiner Schuld und Angst im Schein einer Kerze, mit den Händen das Gesicht zerfurchend, in sich hineinflüsternd: ein Theater kurz vor dem Verstummen. Dieser Stil ist nur möglich mit Schauspielern, die Spannung ohne Spektakel erzeugen können, also nur mit einem so ausgezeichneten Ensemble wie dem Bochumer. Dieser Stil ist mehr als Manier und Markenzeichen. Marktkonform ist die Inszenierung gerade nicht. Er ist auch mehr als berechtigte Polemik gegen das jahrmarktsbunte Bildertheater, das in Hamburg und München erfolgreich ist. Es ist Konsequenz der Konzeption. Ein Endspiel will diese Inszenierung sein, eine Studie über die Krankheit zum Tode der Revolution. Das Ende des Sozialismus, das Ende der Geschichte - das sind keine Thesen aus den fünziger Jahren, sondern die Debatten der letzten Monate. Steckel verarbeitet diese intellektuelle Atmosphäre. Dantons Antwort auf diese Debatte ist pessimistisch: „Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden, es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür.“ Die Geschichte als Selbstverwirklichung des Menschen ist also nicht am Ende. „Aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen.“ Sie hat aber auch kein erreichbares Ziel. Das Ende der Inszenierung ist eine prekäre Mischung von Trauer und Hoffnung. Erst kommt Dantons Frau Julie (Ulkrike Schloemer) von links aus einer riesigen Tür, aus der gelbes Licht fällt, und trinkt Gift. Dann, nachdem sie zusammengebrochen ist, kommt Lucile (Andrea Clausen), Desmoulins‘ Frau, aus der anderen Tür, aus der blaues Licht fällt, sie schreit kurz halblaut, herzzerreißend und schön, und dann entschließt sie sich, ihrem Mann auf das Schaffott zu folgen. Sie ruft den unsinnigen, verkehrten Protestruf „Es lebe der König“ und wird festgenommen. „Die erste Gestalt der Hoffnung ist die Furcht, die erste Erscheinung des Neuen ist der Schrecken“, heißt es am Ende von Heiner Müllers Mauser.

Weitere Vorstellungen am 21. und 29.Oktober.