Verweigerer und ihre Anstifter

In Spanien wehren sich junge Männer gegen ein neues Wehrdienstverweigerungsgesetz / Sie haben großen Erfolg bei den Parteien von links bis rechts / Vielen sitzt die militärische Vergangenheit noch in den Knochen  ■  Aus Madrid Antje Bauer

Wenn in diesen Tagen einige Mitglieder der spanischen „Bewegung für Gewissensverweigerung“ (MOC) durch bundesdeutsche Lande reisen, dann gewährt das Einblick in einen lange schwehlenden Konflikt, den die dortigen Kriegsgegner seit Monaten gegen die Behörden führen. Im Februar dieses Jahres haben die Kriegsdienstverweigerer eine Kampagne gestarte, die in ihrer Radikalität über das hinausgeht, was bei uns bekannt ist, und sind bislang mit ihrer Taktik erfolgreich. Anlaß war ein Gesetz zur Militärdienstverweigerung, das im Januar 1988 verabschiedet worden war und eine gesetztliche Lücke gefüllt hatte. Das Gesetz sieht die Möglichkeit vor, statt des zwölfmonatigen Militärdienstes einen 18monatigen Ersatzdienst in sozialen Einrichtungen abzuleisten.

Um anerkannt zu werden, muß der Verweigerer zuvor bei einer eigens dafür eingerichteten Behörde einen Antrag stellen und seine Motivation schriftlich begründen. Die Dienststelle hat die Befugnis, Ermittlungen darüber anzustellen, ob die angegebenen Gründe mit dem Leben des Antragsteller übereinstimmen. Der MOC, ein Zusammenschluß von antimilitaristischen Gruppen in ganz Spanien, lief sofort gegen das Gesetz Sturm. Zum einen sah er im Zwang zur schriftlichen Begründung einen Eingriff in die Privatsphäre der Verweigerer, zum anderen in der sechs Monate längeren Dauer des Zivildienstes eine Bestrafung, und schließlich lehnte er den Zivildienst als Kriegshilfsdienst hinter der Front ab.

Die MOC-Mitglieder wehrten sich, eine individuelle schriftliche Begründung abzugeben, und bis Ende 1988 lieferten die Verweigerer lediglich einen standardisierten Text bei der Behörde ab, in dem sie ihren Protest kundtaten. 1.500 Bescheide wurden daraufhin abgelehnt. Im Februar dieses Jahres protestierten die ersten 60 abgelehnten Wehrdienstgegner vor den Militärquartieren, um ihre neuerliche Verweigerung anzukündigen. Nach dem spanischen Recht waren sie zu diesem Zeitpunkt bereits Deserteure und mußten mit mehreren Jahren Haftstrafe rechnen. Einige von ihnen wurden auch prompt festgenommen. Zwei Monate später, beim nächsten Einberufungsbefehl, präsentierten sich andere Wehrdienstverweigerer in Begleitung der vorherigen. Inzwischen ist ihre Zahl auf 150 angewachsen. Doch bis auf einige vorübergehende Festnahmen haben ihre Aktionen bislang keine Folgen gehabt.

Um die Aktion auszuweiten, propagierte der MOC daraufhin, daß Verweigerer, die vor der Verabschiedung des Gesetzes 1988, ohne Begründungen liefern zu müssen, anerkannt worden waren, ihre Anerkennung widerrufen und jetzt total verweigern. 3.000 Männer haben diesem Appell Folge geleistet, doch die Anträge der meisten wurden schlicht ignoriert. Jeder Totalverweigerer hat darüber hinaus von vier Personen Unterstützung erhalten, die notariell bestätigten, ihn zur Verweigerung verführt zu haben. Anstifter erhalten in Spanien dieselbe Strafe wie die Täter. Nach dem Gesetz sind das zwischen 16 Monaten und drei Tagen bis zu sechs Jahren Knast. Auch einige Prominente wie der linke Politiker Juan Maria Bandres und der fortschrittliche Madrider Priester Enrique Castro sind unter die Anstifter gegangen. Der MOC will so einen Schneeballeffekt erzeugen, der es den Militärbehörden immer schwerer macht, die Verweigerer zu verfolgen.

Antimilitarismus trifft in Spanien auf breite öffentliche Sympathien. Nicht umsonst ist der Hauptprogrammpunkt der Zentrumspartei CDS für die kommenden Parlamentswahlen Ende Oktober die Abschaffung des zwangsweisen Militärdienstes. Auch die kommunistische Partei tritt dafür ein. Und selbst die rechte „Volkspartei“ favorisiert eine beträchtliche Reduzierung der Wehrdienstzeit. Wenn CDS und Volkspartei dabei eher ein Berufsheer als eine innerspanische Abrüstung anstreben, rührt die Ablehnung vieler Spanier gegenüber dem Militär aus der jüngsten Geschichte des Landes.

Wo das Militär sich vor 50 Jahren unter einem Diktator an die Macht gebombt hatte, und wo noch 1982 ein Lieutnant Tejero versucht hat, der gerade installierten Demokratie den Garaus zu machen, sind die Erinnerungen an die innerstaatliche Feindbekämpfung noch zu frisch.