„Das Projekt ist gestorben“

Der Ex-Innenminister Guatemalas, Juan Jose Rodil, der die Polizei demokratisieren wollte, hält den Versuch für gescheitert / Mitglieder der Regierung haben die Reformen sabotiert / Polizeifahrzeuge befördern Funktionäre  ■ I N T E R V I E W

taz: Warum ist das Projekt der Demokratisierung der Polizei so kläglich verkümmert?

Juan Jose Rodil: Von Anfang an gab es Gruppen in der Christdemokratie, die das nationale Projekt mißverstanden und fürchteten, daß ich ein Rivale für Alfonso Cabrera werden könnte, der die Präsidentschaft anstrebt. Daher haben verschiedene Leute in der Regierung diese Bemühungen sabotiert. Mitte 1986 gab es auch die ersten Spannungen mit der Armee, die nicht daran gewöhnt war, daß ein ziviler Politiker sein Amt ernst nimmt und tiefgreifende Reformen durchsetzen will. Mit den Militärs konnte ich eine Verständigung finden. Es ging mir darum, eine Kriminalpolizei zu schaffen, die Übeltäter ausforscht, egal ob es sich um Zivilisten oder Armeeangehörige handelt.

Mit Ihrem Abgang vor mehr als einem Jahr ist das Projekt dann gänzlich gestorben?

Als der Präsident mich bat zurückzutreten, hatte das Programm noch nicht die nötige Eigendynamik, um unabhängig von seinen Paten zu funktionieren. Leider waren meine Nachfolger der Meinung, daß alle meine Bemühungen gestoppt werden müßten, weil ich sonst zuviel Profil gewonnen hätte. Die Programme wurden verzögert oder ganz eingestellt, und die Kooperation der befreundeten Länder hörte auf. Venezuela hat seine Hilfe zurückgezogen, Spanien gibt nur mehr ein Minimum, Deutschland genauso. Und die USA haben praktisch ihr Programm eingestellt. Das ist tragisch, weil damit eine Hoffnung begraben wird, daß auf diesem Weg der demokratische Prozeß konsolidiert wird.

Welcher Anteil des Reformprogramms hat letzten Endes verwirklicht werden können?

Die Evaluierungsphase der ersten 90 Tage zur Gänze, die Finanzierungszusagen der befreundeten Länder auch. Mit der Durchführung der Programme wurde begonnen. Aber auf dem Gebiet der Gesetzesreformen ist nichts durchgegangen. Ich habe elf Gesetzesanträge eingebracht, allen voran ein neues Polizeiordnungsgesetz. Das ruht in einer Schublade im Parlament. Das Waffen- und Munitionsgesetz wurde so verstümmelt, daß nichts mehr von der eigentlichen Absicht übrigbleibt.

Auch mit der Personalausbildung hat es nicht geklappt: 25 Akademiker wurden nach Spanien geschickt, und als sie zurückkamen, wurden sie nicht vom Innenministerium angestellt. Inzwischen hat mehr als die Hälfte einen Posten im Privatsektor. Mit diesen 25 jungen Leuten als Professoren und drei Beratern aus Venezuela, vier Spaniern und drei Deutschen wollten wir die neue Polizeischule eröffnen. Dazu ist es nicht mehr gekommen.

Letztes Jahr kamen die Stipendiaten, die in der Bundesrepublik ausgebildet werden, auf Urlaub und erzählten mir, im Innenministerium hätte man ihnen gesagt, sie sollten gar nicht von einer Anstellung träumen. Das Problem ist, daß ich ein Gehalt von 1.500 Quetzales (etwas über 1.000 DM) vorgesehen hatte. Dies erscheint meinen Nachfolgern zu extravagant. Es ist klar, daß viele inzwischen mit verschiedenen Institutionen über Arbeitsmöglichkeiten verhandelt haben. Aber ich will nichts präjudizieren - die Studenten kommen ja erst in ein paar Wochen zurück. Anfang 1988 wurde aus mir unerfindlichen Gründen keine einzige Liste von Stipendiaten aufgestellt. Guatemala verzichtet also auf sein Recht, 60 Leute jährlich an die Höhere Polizeischule in Avila (Spanien) zu schicken, worauf die spanische Regierung das Programm einstellt. Dasselbe passiert in Deutschland. Ich hatte noch 270 Polizisten auf einen Monatskurs nach Caracas geschickt. Die nächsten 260 konnten wegen bürokratischer Hindernisse nicht mehr fahren. Von den 255 Patrouillenfahrzeugen, die ich aus Mexiko mitbrachte, sind kaum 60 im Einsatz. Hundert stehen in Lagerhäusern und weitere hundert dienen dem Transport von Funktionären. Zusammenfassend: Selbst von 10 Prozent Erfüllung des Programms zu sprechen ist zweifelhaft.

Nach Ihrem Abgang wurde mit dem Zivilschutzsystem SIPROCI ein Organismus geschaffen, der die Polizei der Kontrolle der Militärs unterstellt. Das läuft doch der ursprünglichen Absicht einer unabhängigen Polizei zuwider.

Ich habe die Einrichtung des SIPROCI nie akzeptiert. Ich habe nichts gegen die Koordination der verschiedenen Sicherheitskörper mit der Armee. Aber wenn es um die Sicherheit der Bürger geht, müssen die zivilen Behörden an der Spitze stehen und dafür sorgen, daß Maßnahmen nach technischen Kriterien ergriffen werden. Jetzt ist es so, daß die Militärs die Polizei für ihre militärischen Operationen einspannen, um die gewöhnliche Kriminalität zu bekämpfen. Das ist völlig ineffizient. Ich glaube, das SIPROCI-System wurde geschaffen, um konservative Militärs zu besänftigen, die der Polizei auf die Finger schauen wollen. Denen geht es gar nicht um die Verbrechensbekämpfung. Deswegen kann SIPROCI nicht funktionieren.

Interview: Ralf Leonhard, Guatemala-Stadt