„Die Kartoffeln sind häufig kleiner als sonst“

Drei DDR-Zeitungen gestern: ein heilloses Durcheinander von gewohnter Propaganda und Glasnöstchen / Die FDJ-Zeitung 'Junge Welt‘ geht voran mit der Offenheit, das 'ND‘ bleibt Schlußlicht / Die außerkirchliche Opposition wie das „Neue Forum“ bleibt ausgegrenzt  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Das winzige Foto auf Seite drei der 'Jungen Welt‘, dem Organ der FDJ, zeigt einen Mann, der sich eine männliche Büste anschaut. Darunter steht: „Übrigens soll nach unbestätigten Gerüchten dieser Herr sein steinernes Gegenüber gefragt haben: Haste etwa auch ne eigene Meinung?“

Seit Hermann Kant, Präsident des DDR -Schriftstellerverbandes, Ende letzter Woche in der 'Jungen Welt‘ eine harsche Kritik an den Massenmedien des Landes loswerden durfte, weht offenbar frische Luft durch einige Redaktionsstuben. Besänftigen der Massenbewegung, opportunistische Versuche, noch schnell das Perestroika -Ticket zu ergattern, oder ernsthaftes Nachdenken?

In Ost-Berlin gab Günter Schabowski, SED-Bezirkshäuptling und von 1978 bis 1985 Chefredakteur des 'Neuen Deutschland‘ (ND), am vergangenen Wochenende die neue Linie aus. Er zitierte die ersten Sekretäre der Kreisleitungen der Hauptstadt zu sich. Über Nacht, so berichten Informanten, befiel daraufhin nicht wenige Parteifunktionäre der totale Blackout. Seit Montag verhehlen sie nicht mehr, daß sie die Medienberichterstattung des Landes „schon immer“ für schlecht hielten.

Zu welch erstaunlichen Wandlungen Redakteure fähig sind, bewies gestern die größte Lokalzeitung der Hauptstadt, die 'Berliner Zeitung‘. Vermutlich als erste europäische Zeitung gestaltete sie den Aufmacher-Text in Form von drei Leserbriefspalten. Beim Inhalt indes geht der Revolution der Atem aus. Ohne Ausnahme loben die Schreiber die Erklärung des Politbüros, und Harry Fiebig, Parteisekretär im Lichtenberger Kinderheim „Janusz Korczak“, nennt sie „allen Kommunisten und Bürgern unseres Landes aus dem Herzen gesprochen“. Auch das „Neuererkollektiv im VEB Versorgungstransporte“ bestätigt die Absichten der DDR -Partei- und Staatsführung: „Die Erklärung betrachten wir als einen Anfang für die Diskussion in Vorbereitung des XII. Parteitages.“

Und wenn nicht allein in der SED diskutiert werden soll, dann allenfalls noch mit der Kirche. So widmet die 'Berliner Zeitung‘ dem Treffen zwischen Hauptstadt-Oberbürgermeister Krack und den „kirchenleitenden Persönlichkeiten“ Forck, Stolpe und Krusche einen ausführlichen Bericht. Überschrift: „Verständigung bei wichtigen Fragen vereinbart“. Da ist die Rede vom „offenen und umfassenden Dialog mit allen Bürgern, auch mit den Christen unseres Landes“. Ob und wie die Gesprächspartner mit der tausendfachen Forderung nach Zulassung des „Neuen Forums“ umgegangen sind, erfährt die Leserin nicht. Für die Zeitungen ist der Name der größten Oppositionsbewegung weiterhin Tabu.

Besonders verbockt zeigt sich weiter das 'Neue Deutschland‘. „In verantwortungsvoller Weise über gemeinsame Ziele reden und das Angebot der SED zum Dialog annehmen“, heißt es gestern. Doch ein Dialogangebot an Oppositionsgruppen gibt es bisher nicht, und Glasnost im 'ND‘ beschränkt sich weiter auf Kritik an den Ernteergebnissen: Unter der Überschrift „Kartoffeln sind geborgen - jetzt läuft die Rübenernte“ vermerkt das Blatt: „Speiseware guter Qualität, wenn auch häufig kleiner als sonst, befindet sich in den Kellern...“.

Unter dem Druck der Ausreise- und Demonstrationswelle vornehmlich junger Menschen scheinen 'Junge Welt‘ und FDJ noch am ehesten auf die Devise „Rettet, was noch zu retten ist“ einzuschwenken. An die Stelle der Partei-Holzsprache tritt Volkstümliches. FDJ-Funktionäre waren am Donnerstag „ganz basisdemokratisch unterwegs zu Gesprächen in 157 Grundorganisationen der Stadt“. Der Artikel über ein solches „unangemeldetes Gespräch“ der FDJ in einem Betrieb beginnt gleich schwungvoll: „Da staunten die Jungs aus der Endmontage nicht schlecht. 'Ich heiße Günther Bohn bin vom Zentralrat der FDJ!‘ Shake hands.“ Über einen FDJ-Besuch bei den VEB Geräte- und Reglerwerken Teltow klagt das Blatt in ungewöhnlichen Tönen: „Diese Diskussionsrunde war offen für jeden Jugendlichen. Unverständlich aber, wieso Mitglieder zum Zuhören abkommandiert wurden. Eine offene freimütige Diskussion läßt sich doch nicht befehlen. Der Paukenschlag kam unerwartet - war aber vorprogrammiert. Ungefähr die Hälfte der Jugendlichen verließ, nachdem die befohlene Freiwilligkeit aufgehoben war, den Saal.“

So sehr das Glasnost-Lüftchen durch die FDJ-Stuben weht, den Abstand zur Opposition wahrt die SED -Nachwuchsorganisation ebenso wie die Altvorderen. Unmißverständlich der Sekretär des Zentralrats der FDJ, Jochen Willerding: „Wir brauchen (für die Diskussion) weder neue Kommissionen oder andere Körperschaften, sondern müssen jetzt unsere vorhandenen Strukturen sozialistischer Demokratie so nutzen, daß wir das, was uns bewegt, auch in der kürzestmöglichen Frist in Angriff nehmen und zuende bringen.“