Beit Sahour seit einem Jahr im Steuerstreik

Palästinensisches Dorf in der Westbank verweigert Zahlungen an die Besatzungsmacht / Israel will den zivilen Widerstand der Bevölkerung nun brechen / Güter im Werte von einer Million Dollar beschlagnahmt / EG-Delegation durfte den Ort nicht besuchen  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

„Wir werden den Bewohnern von Beit Sahour eine Lehre erteilen. Es kann einen Monat dauern, aber schließlich werden sie doch nachgeben.“ Diese Ankündigung des israelischen Verteidigungsministers Jitzhak Rabin vom Dienstag dieser Woche bedeutet für die Einwohner des überwiegend christlichen Städtchens in der besetzten Westbank, daß sie nunmehr quasi in einer Situation der militärischen Belagerung leben. Der Stein des Anstoßes: Gemäß den Aufrufen der Untergrund-Führung des Palästinenser -Aufstandes, zivilen Widerstand gegen die Besatzungsmacht zu leisten, hat die Bevölkerung von Beit Sahour seit über einem Jahr keine Steuern mehr gezahlt. Diesen Steuerstreik möchte Rabin nun brechen.

Bereits seit dem 21. September dringen israelische Streuerbeamte unter dem Schutz des Militärs immer wieder in das Dorf ein, brechen mit Bulldozern die Türen zu Geschäften auf und „beschlagnahmen“ alle Güter, die sie vorfinden. Nach Angaben von Bewohnern werden selbst Möbel aus Privathäusern, inclusive Betten, und Elektrogeräte weggeschleppt. Die Güter im Werte von rund einer Million US-Dollar fallen nach einer Frist von zehn Tagen, in der die Besitzer sie durch Steuernachzahlungen auslösen können, an die Steuerbehörde und sollen dann versteigert werden. In zahlreichen Fällen ist diese Frist bereits abgelaufen.

Dutzende von Familienvätern, die sich weigerten, die geforderten Summen zu entrichten, wurden bereits festgenommen. Ungeachtet dessen geht der Steuerstreik bislang weiter. Nachts und häufig auch tagsüber herrscht eine Ausgangssperre. Beit Sahour hat seit Beginn des Aufstands eine Tradition des zivilen Widerstandes und ist in dieser Hinsicht so etwas wie ein palästinensisches Musterdorf.

Die Bürgermeister von Beit Sahour und den nahegelegenen Orten Bethlehem und Beit Jala stellten in einer gemeinsamen Erklärung fest, daß sie die oft willkürlich festgesetzten Steuern an die Besatzungsmacht für illegal halten, vor allem, da die Palästinenser der Westbank über keinerlei politische Rechte verfügen. „Steuerzahlungen ohne (politische, d.Red.) Repräsentation widersprechen den Prinzipien der Selbstbestimmung und verletzen die Menschenrechte“, heißt es in der Erklärung. Die Antwort der Gegenseite lautet, als Ausgleich für die Steuerzahlungen könnten die Palästinenser aus der Westbank in Israel als Tagelöhner arbeiten.

Der gemäßigte Bügermeister von Bethlehem, Elias Freij, der von seinem Arbeitszimmer aus die ersten Häuser von Beit Sahour sehen kann, sagte kürzlich gegenüber afp: „Die Israelis wollen die Kosten für die Intifada bei den Palästinensern in der Westbank und im Gaza-Streifen eintreiben.“ Die Steuerbeamten seien unmenschlich und forderten maßlose Beiträge, die die Händler und Handwerker völlig überforderten.

Für den Kommandanten der Westbank, General Jitzhak Mordechai, ist der Steuerstreik keine Aktion des zivilen Widerstands, sondern eine Verletzung von Recht und Ordnung, die beseitigt werden muß: „Auswärtige Elemente wollen die Bewohner von Beit Sahour für politische Ziele ausnützen. Unsere Botschaft lautet: Sie können weder die israelische Besatzung loswerden noch die Pflichten, die ihnen auferlegt wurden“, erklärte der General.

Am 6. Oktober hatten israelische Soldaten eine Gruppe konsularischer Vertreter von sieben westeuropäischen Staaten (die BRD war nicht mit von der Partie) daran gehindert, die Stadt zu besuchen. Die Vertreter, die von dem Bürgermeister von Beit Sahour zu einem „Inspektionsbesuch“ eingeladen worden waren, konnten lediglich Bethlehem besuchen, wo sie am Weiterfahren gehindert wurden. Vielleicht wären die Aussichten, nach Beit Sahour zu gelangen, besser gewesen, hätte sich auch der Konsul der USA in Jerusalem an der demonstrativen Expedition beteiligt.