Aufrecht sterben

■ Die Statistik macht das Waldsterben zum Papiertiger

Bonn (taz) - Der Bundestagsabgeordnete Wilhelm Knabe hat schlohweißes Haar, trägt Hütchen und Kordhose, hat in der Hand einen Klappspaten und sieht nicht nur aus wie der Herr Oberförster persönlich, er ist Oberförster - der einzige des Bundestages und von den Grünen. Wie wenig veranschaulichen Zahlen, Flächenmaße und Prozente wirklich das Waldsterben, dachte sich der 67jährige Knabe, wo sich doch dahinter „Millionen Einzelschicksale von Bäumen“ verbergen. Also führte der Förster eine Schar von Journalisten von den grauen Redaktionen in den entnadelten Wald. Im Bonn-nahen Kottenforst ist die Bilanz ebenso düster wie die Kronen licht sind. 50 Prozent der Fichten wurden in den letzten fünf Jahren vorzeitig gefällt. Auch bei den Buchen, so erläutert der begleitende Oberforstrat Hein, sei die Schädigung in den letzten Jahren rasant vorangeschritten. In der Nähe der Stämme, wo das giftgeladene Regenwasser konzentriert herabrinne, sei der Boden zehnmal so sauer wie in einigen Metern Entfernung. Rund um die Stämme gibt es deshalb keinen Bewuchs mehr. Jungtrieben gelingt es nicht, sich in dem vergifteten Boden festzusetzen. Nur noch die widerstandsfähigsten Bäume sind übriggeblieben, und auch die werfen vorzeitig die Blätter ab. Ausgefallene Spitzentriebe und vermehrten Schädlingsbefall führt Wilhelm Knabe auch am Patienten Eiche vor.

Da ist die Statistik freundlicher. Noch vor Erscheinen des Waldschadensberichts der Bundesregierung Anfang November haben nämlich die Bundesländer ihre Werte zusammengetragen. Für NRW wird da eine stabile Schadensrate von 39 Prozent gemeldet; bei den Nadelbäumen soll die Schädigung gar abgenommen haben: um exakt drei Prozent. Bei den Laubbäumen ist der Wert um bloße drei Prozent gestiegen, womit 49 Prozent aller Laubbäume als erkrankt gelten.

Alle Bundesländer melden einen deutlichen Anstieg der Schädigungen bei Laubbäumen, während die Nadelbäume sich „stabilisiert“ hätten - auf hohem Niveau selbstverständlich. In Bayern sind in der Gesamtbilanz nur 40 Prozent aller Bäume gesund, in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sind 50 Prozent krank, und im Saarland sind 44 Prozent notleidend.

Soziale Strategien zur Verhaltensänderung brauche es: Energiesparen, Tempolimit und Rohstoffrecycling, um den Wald zu retten, sagt Knabe, der die Besucher mit dem Bus vor Ort brachte. Auch die Reporterin nickt, die mit dem eigenen Wagen gekommen ist, wegen der größeren Flexibilität.

Gerd Nowakowski