Kein Grund zu resignieren

Trotz vorläufiger Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: SPD und Grüne wollen sich weiter für Ausländerwahlrecht einsetzen / CDU triumphiert: Thema ist tot  ■  Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - Trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Beteiligung von Ausländern an den kommenden Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein erst einmal zu verschieben, will die Berliner Koalition an der Einführung des Wahlrechts für Ausländer festhalten. Da die Eilentscheidung aus Karlsruhe in der Sache keinerlei neue verfassungsrechtliche Argumente erbracht habe, so Eckhardt Barthel, der ausländerpolitische Sprecher der Berliner SPD, zur taz, sehe er keinen Grund, einen entsprechenden Gesetzentwurf nicht wie geplant einzubringen. „Ich gehe davon aus, daß die SPD das Gesetz jetzt analog zur Alternativen Liste einbringen und durch Anhörungen und Veranstaltungen die politische Diskussion forcieren wird.“ Die Karlsruher Entscheidung sei zwar ein falsches Signal, aber „kein Grund zur Resignation“.

Ebenfalls in diesem Sinne äußerte sich der Berliner DGB -Vorsitzende Michael Pagels. Er forderte die Berliner Regierungskoalition auf, endlich gemeinsam den Entwurf einzubringen und uneingeschränkt zu vertreten. SPD-Politiker in Kiel und Bonn bedauerten den Spruch aus Karlsruhe. Ministerpräsident Engholm gab seine Enttäuschung zu Protokoll, will aber dennoch durchsetzen, daß bis 1994 alle in Schleswig-Holstein lebenden AusländerInnen wählen dürfen. Sein Fraktionschef Gerd Börnsen meinte, notfalls müsse man eben für eine Verfassungsänderung kämpfen, schließlich sei die Frage einer demokratischen Beteiligung der Immigranten eine politische und keine juristische. Diese Auffassung vertrat gestern auch der Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Hannovers Oberbürgermeister Schmalstieg. „Wenn das Verfassungsgericht zu einer Entscheidung käme, wonach dieses Wahlrecht nach unserer Verfassung nicht möglich ist, muß man eben dafür sorgen, daß die entsprechenden verfassungsrechtlichen Vorkehrungen getroffen werden.“

Grüne aus Bund und Ländern plädierten dafür, jetzt erst recht für ein Ausländerwahlrecht zu kämpfen. Der Landesverband von Baden-Württemberg, wo in zehn Tagen Kommunalwahlen stattfinden, befürchtet einen „Rückschlag in den Fortsetzung auf Seite 2

Bemühungen um politische und gesellschaftliche Akzeptanz der hier lebenden EinwanderInnen“. „Von den 4,5 Millionen ImmigrantInnen leben mehr als 3 Millionen länger als 10 Jahre in der BRD. Wie lange will man diesen Menschen noch das Recht vorenthalten, ihr eigenes Leben mitzubestimmen?“

Diese Frage stellt sich auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Liselotte Funke. „Enttäuschung und Befremden“ habe das Bundesverfassungsgericht bei den ImmigrantInnen ausgelöst, die darauf hoffen, als Wähler endlich Gehör für ihre Interessen zu finden.

Mit dieser Haltung steht Frau Funke in der Bonner Koalition allerdings allein auf weiter Flur. In unverhohlenem Triumph verkündete der Justitiar der CDU/CSU Fraktion, Langner, mit der Entscheidung sei „das Ausländerwahlrecht politisch tot“. Ausgerechnet Justizminister Engelhard tat sogar so, als hätte das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, daß mit dem in Artikel 20 GG benutzten Begriff „Volk“ ausschließlich das „deutsche Volk“ gemeint sei - genau die Frage, die das Gericht sich für die Hauptverhandlung im kommenden Jahr zur Entscheidung vorbehalten hat.

Vollends auf den Kopf stellte der innenpolitische Sprecher der CDU, Johannes Gerster, die Debatte. Das Gericht habe „einen wichtigen Schritt zur Integration der ausländischen Mitbürger getan“. Warum? Die Entscheidung fördere die Bereitschaft der Ausländer, sich einbürgern zu lassen.