Freimarkt: „Immer Anteilnehmen!“

■ Zwischen Masupilamis, Zuckerwatte, Berlinern, Liebesäpfeln und Pferderennen auf der Suche nach dem Kind in uns

Was ist bloß aus dem Kind in mir geworden? Es läuft nicht mehr fiebernd durch die Jahrmarkts - Gassen und sucht nach Gerüchen. Das Verlangen nach den wilden Karrussels und Achterbahnen ist gestillt, lange bevor die erste Stimme lockt. „Immer mitfahren, immer dabeisein, immer ein Erlebnis“ - die näselnde Monotonie der Kirmesschreier hat nicht mehr den Beiklang der verbote

nen Welt. Der zwielichtige Nimbus, den ich dem fahrenden Volk angedichtet hatte und der schon allein deshalb ihre bloße Nähe zum aufregenden Erlebnis machte, ist einer allzu nüchternen Betrachtung gewichen, registriert sie in ihren Kassenhäuschen nur noch als Endlosspulen aus Fleisch und Blut. „Hallihallo, wie wärs mit uns? Steigen Sie ein. Fahren Sie mit.“

Nein, ich mag nicht. Will nicht in diese „Immer schneller, immer höher, immer komplizierter“ - Maschinen. Ich habe noch nie vor Aufregung quietschen können, und feuchte Augen krieg ich nur beim Zwiebelschneiden. Ich habe Angst vor Magic, Skylab und Crazy Fly, vor diesen hochtechnologischen Menschenschleudern, die einem immer weismachen wollen, daß die Gesetze der

Schwerkraft doch außer Kraft zu setzen sind. Wie bringen die Leute das nur fertig, sich geschlagene fünf Minuten in einem Affenzahn um drei Gelenkachsen, gegen die Fahrtrichtung, auf dem Kopf oder im Dunkeln, schwenken, reißen und schießen zu lassen, und danach gelassenen Schrittes die nächste Curry -Wurst anzusteuern?

Autoscooter, an den Banden standen wir abends, etwas steif und verlegen und knutschten heimlich. Vorher gab es die Einladungen zum Fahren und die heftigsten Zusammenstöße: verschlüsselte Liebeserklärungen. Heute steht der Scooter neben dem Bonsai-Los-Stand, die dunklen Ecken sind neonausgeleuchtet und der Schausteller wirbt mit ADAC -Sicherheitsideologie: „Mehr Geschwindigkeit, mehr Fahrspaß und größere Sicherheit.“

Eingezwängt in die drängende Masse möchte ich auch Frohnatur sein. Möchte nach dem Genuß von Zuckerwatte und Paradiesapfel eine Dreierrunde Psycho, Inferno und Nosferatu einlegen, um dann beim Ungarischen Nieren-Schaschlik meinen Magen genesen zu lassen. Aber es will nicht klappen. „Immer dabeisein, immer anteilnehmen“, zweihundert lila Masupilamis kann ich gewinnen, das gäbe ein grandioses „Huba, Huba“ Konzert zuhause. Ich würde sie alle um mein Bett aufstellen, in Reih und Glied und meine Träume vom Freimarkt bewachen lassen. Meine Träume

von den Zeiten, wo es wieder langsamer zugeht bei den Jahrmärkten, wo mir die Sinne nicht schwinden, sondern zulangen können.

Darum zieht es mich immer zu den Buden, wo die Leute mit zunehmendem Dröhnkopf immer geschickter werden. Zum Fische kloppen und Ringe werfen und Aale würfeln. Aber nur eines mach ich selber gerne: Pferderennen. Da könnte ich ganze Abende verbringen, neben mir einen nie versiegenden Berg frischer Berliner von Louis Rath, und die Kugel rollen, damit mein Gaul als erster durchs Ziel geht. Das ist noch echter Wettkampf, da muß ich was tun für meine Mark und kann was dafür, wenn ich eine Riesenpalme gewinne.

Was ist bloß aus dem Kind geworden? Wo ist die Jahrmarktswelt geblieben, die mich wieder verzaubert? Die Masse machts nicht. Drei Millionen Besucher werden auf dem Freimarkt erwartet, trotzdem wäre es ein Leichtes, die Anzahl der glänzenden Augen, der glühenden Gesichter und lachenden Menschen zu zählen. Es sind wenige, viel zu wenige. „Karibische Mädchen schwimmen mit lebenden Haien“ lockt die Florida-Haishow. Nein, es ist nur die weiße Miss Gaby, die für ein paar Minuten zu den sechs Haien ins zwei mal acht Meter kleine Aquarium steigt. „Die sind aus Plastik“ sagt der kleine Junge zu den Haien. Ihm ist schon zuoft zuviel versprochen worden.

tazzan

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