Swinging Metropolis

■ 48. Onkel Otto aus Gardeleben

Balla Balla, Wooley Booley, Yummi Yummi, Hanky Panky, Rooky Zooky... Alles Yeah-Yeah-Yeah-Kreationen der Sechziger. Nicht wow-mäßig, sondern angemessen eingedeutscht trällern im ausgehenden 19. Jahrhundert die Five Sisters Barrison, eine dänisch-angelsächsische Püppchen-Truppe aus Folge drei der beliebten taz-Serie SWINGING METROPOLIS, vergleichbar Anspruchsvolles: „Papa buy me a Wauwau,/ I have a little cat,/ I love her like a pet,/ But I want to have a Wauwau. Wau!“

Wie die Beatles oder Batman schmücken ihre Konterfeis diverse Gebrauchsgegenstände: vom Aschenbecher zum Wimpel, von der Blumenvase zum T-Shirt. Umgeben von und angetan mit dergleichen Devotionalien kriegt der Berliner Pädo-Fan feuchte Visionen, im Ohr vielleicht den Barrison-Song „Linger Longer, Longer Linger, Linger Longer Loo“.

Bei aller Liebe zum Exotischen - Schnauze bleibt Schnauze (schließlich spricht der Spreegebadete „Jonny“ bis heute hartnäckig mit Jot; so wie „Lieber Jott“), und weil zarte Teenie-Beinchen doch nicht unbedingt den Allgemeingeschmack treffen, kursiert alsbald der Vers: „Ob Hammelkotlett, ob Schweinekotlett,/ die Beene der Barrisons werden nicht fett.“

Aber kosmopolitisch ist man schon, doch, doch. Würde man sich sonst so anteilnehmend für die international ausgeschlachteten Affären der spanischen Tänzerin „La belle Otero“ interessieren? Bei Little-Carlsen ist das wieder was anderes. Der Kollege tritt ebenfalls im Wintergarten auf und nennt sich „Tanz-Caricateur“. So ausländisch das klingen mag - is nich! Vielmehr schreibt er Berliner Musikgeschichte mit seiner Erfindung, dem „Rixdorfer“: „Dort erwartet Rieke mir,/ ohne Rieke keen Pläsier./ Rieke, Rikchen, Rikake,/ die is mir nich pi-pa-pe.“

Parallel wird „die amüsanteste und interessanteste Erfindung der Neuzeit“ vorgeführt, das „Bioskop“ der Brüder Skladanowsky. Es handelt sich dabei um diese hektisch flakernden Bilder, die heute als kinematografisches Konsumgut zu unser aller Alltag gehören. 1895 fallen die Zuschauer noch in Ohnmacht, als auf der Leinwand ein Lokomotive auf sie zufährt. Desweiteren zählen ein Alarm bei der Feuerwehr sowie das boxende Kängeruh Mr. Delaware zu den ur-cineastischen Höhepunkten.

„Die Linien, Farben, Bewegungen, die mir die Saharet, die Loie Fuller zeigten, sind mir ein schöneres Schauspiel als ein guter Teil dessen, was mir die große Oper, das große Drama beschert, denn sie sind in ihrer Art vollendet... während ich dort für ein schöne Stimme, für eine starke Darstellungskraft allerhand ästhetische Unzulänglichkeiten mit in Kauf nehmen muß.“ So drückt Otto Julius Bierbaum Vertreter der „Moderne“ in München wie zu Berlin - die Stimmung der Zeit aus, macht sich zum Fürsprecher „trivialer“ Variete und Brettl-Darbietungen. Die beiden hier gebauchpinselten Damen sind absolute Stars, umnebelt von erotischem Ruf und Ruch, aber längst nicht so gewagt wie Olga Desmond, deren Barfußtänze als Gipfel der Freizügigkeit und „typisches Beispiel für das Anstößige und Unkünstlerische“ gelten.

Auf die schmutzige Zurschaustellung selbst gewaschener Gehwerkzeuge wird an dieser Stelle verzichtet. Statt dessen zeigen wir das Notentitelblatt eines Coupletes, ach was: des Couplets, des Spitzenreiters der Gassenhauerparade von 1898. Das Publikum wird mit Novitäten überhäuft, lernte es doch ebendie Kunstform des Chanson kennen. Die Grande dame Yvette Guilbert hatte es eben aus Paris mitgebracht, diente so Fritzi Massary, Trude Hesterberg und Marlene Dietrich als Vorbild. Und nun platzt so'n kleener, dicker Provinzler aus Gardelegen mittenmang in den Vergnügungsbetrieb, um dem Berliner vorzumachen, was 'ne Pointe ist. Anonymen Erfolg hat er bereits mit dem Liedchen „Ich bin die lustige Witwe“, das allerdings eine Sängerin namens Josefine Dora dem Wintergartenbesucher darbietet. Nun tritt er selbst auf die Rampe, und wie das kam und weitergeht, und was ein Couplet eigentlich ist, davon mehr in einer Woche. Wers nicht abwarten kann, dem sei eine „Bildbiographie“ der Kleinkunst-Spezialistin Helga Bemmann empfohlen, aus der auch die Abbildung stammt: Otto Reutter - Ick wundre mir über jarnischt mehr, erschienen im arani -Verlag, Berlin.

Norbert Tefelski