Warum Helmut Kohl Jean-Paul Sartre gut findet

■ Die Fernsehberichterstattung über die Frankfurter Buchmesse: Durchs Fernsehen werden Bücher schön

Nur Sat1 blieb hart. Unbeirrt strahlte der Mainzer Privatsender Heino - Stimme der Heimat oder den deutsch -französischen Spielfim Quartett Bestial aus, während in allen anderen Programmen sämtliche Aspekte (ZDF) des Weltmarkts der Literatur (ARD) in Diese(r) Woche (RTL) von einem Dutzend Sendungen behandelt wurden. Leider erst nach Redaktionsschluß lief am Sonntag abend in der ARD die gut zweistündige „große Live-Show Autoren, Stars und Geschäfte“, die noch tiefere Einblicke ins literarische Geschehen versprach. Mit zwei dramaturgischen Grundmustern versucht das elektronische Medium Fernsehen, dem Wesen des Buches auf die Spur zu kommen: dem authentischen, am besten live in authentischer Atmosphäre (in einem Cafe oder einer besonders engen und besucherumtosten Ecke eines Buchmessestandes) gesendeten Gespräch, in dem etwa die Autorin einer Autobiographie gefragt wird, ob beim Verfassen des Werks Trauer oder Vergnügen die bestimmende Gefühlsregung war, und mit jenem unverzichtbaren Element aller TV-Hintergrundinformationen, das der Moderator mit Hilfe der jovialen Bermerkung: „Wir haben da einen kleinen Beitrag vorbereitet“, vorzugsweise als Gesprächsunterbrecher und Instrument der Phrasierung einsetzt, bevor er, wie stets, zum zweiten Mal „um die Maz bitten“ muß.

Das Aspekte-Team des ZDF hat über die Jahre besondere Erfahrungen gesammelt, wie man selbst lebendige Orte und Personen in totes Bühnenbild und Staffage verwanden kann. Dem wie ein Honigkuchenpferd in die Kamera strahlenden Moderator Johannes Willms gelang es, auch Persönlichkeiten wie Hilde Spiel zum Teil der Ausstattung einer „Live„ -Sendung zu machen, in der selbst vernünftige Antworten auf dumme Fragen noch den Eindruck hinterlassen, sie seien auswendig gelernt. Die alles überwältigende Interessenlosigkeit ist es, die das Schema der Filmchen und Fragerituale durchzieht und alles gleichmacht. Gleich wichtig und gleich nichtig. „Ganz hervorragende Literatur“ hatte Willms ausfindig gemacht und hob im Fünfminutentakt Bücher in Kamerahöhe wie der Metzgermeister seine Rinderfilets.

Die ARD setzte auf die bewährte Redaktion von Titel Thesen Temperamente, die traditionell ohne Moderator ihre Schnipsel zu einem 15minütigen Potpourri zusammenmixt. Weniger hausbacken-bemüht als das ZDF, aber nicht weniger stolz, dabei zu sein - erst durchs Fernsehen werden Bücher schön. Beim Dreifrageninterview mit dem französischen Kulturminister Jack Lang wurde nur eines deutlich: der schwer erkämpfte Erfolg des Reporters, das Nichtgespräch überhaupt zustande gebracht zu haben. Das folgende Interview bestand nur noch aus zwei Fragen. Dafür beantwortete sie der Bundeskanzler. Nach seiner Lektüpre von Annie Cohen-Solals Sartre-Biographie ist auch der Philosoph der existentialistischen Revolte in den pfälzischen Olymp der „großen, geistig prägenden Gestalten des Jahrhunderts“ aufgenommen. Davor verblaßte selbst die Frage Hans-Jürgen Rosenbauers (WDR) an den Südtiroler Kletterkönig Reinhold Messner, warum er heuer gleich zwei Bücher zur Messe vorgelegt habe.

Bevor der Gipfel der Nichtigkeiten endgültig als höchstes Niveau plattgetreten werden konnte, rettete das Literarische Quartett (ZDF), die intellektuelle Nachfolgeorganisation der „Glorreichen Vier“, den Ruf des Mediums. In vergleichsweise genialer Dramaturgie gelingt vier LiteraturkitikerInnen unter der unbestrittenen Leitung des geist- und witzsprühenden Marcel Reich-Ranicki das Kunststück, eine unterhaltsame Diskussion über Bücher zu führen, die kaum ein Fernsehzuschauer gelesen hat, ohne in Beliebigkeit oder akademische Dispute zu verfallen. Das Geheimnis ist die Mischung aus substantiellem Interesse am Gegenstand, Kompetenz und einem intelligenten, also zugleich narzißtischen und ironischen Medienbewußtsein; ein spannendes Artefakt, das das genaue Gegenteil jener künstlichen „Cafeatmosphäre“ ist, in der das Medium Fernsehen an sich selbst erstickt.

Reinhard Mohr