Hörfunk zum Weghören

■ Private Rundfunkanbieter und Werbewirtschaft diskutierten über den Rundfunk der 90er Jahre / Gegenveranstaltung zeichnete düsteres Bild

Als am Mittwoch letzter Woche bei den Medientagen in München zum zweiten Mal der Hörfunkpreis der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien verliehen wurde, hatten die Veranstalter wohl selbst Zweifel an der Güte der von ihnen prämierten Produkte. Denn anstatt die Beiträge für sich selbst sprechen zu lassen, wurden sie eingebettet in eine bunte Show inklusive Videoclip, der die Macher vor oder hinter der Schneidemaschine zeigte. Das Publikum wurde damit eher zum Weg- als zum Zuhören angeregt. Die Präsentation führte das Medium ad absurdum. Auch wer von den 53 bayerischen privaten Rundfunkstationen Neues erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht. Durchschnittliches Mittelmaß, das bei Öffentlich-rechtlichen teils in die Rubrik „Nicht sendefähig“ gefallen wäre, wurde hier, soweit durch die Show erkennbar, ausgezeichnet. Innovativ war das nicht. Nicht nur die prämierte Sportreportage erinnerte an die Zeit, als in den 50er Jahren der öffentlich-rechtliche Hörfunk noch unverkrampft und spontan auf Sendung ging. Bezeichnenderweise konnte der Preis für Soziales, mangels Masse, nicht vergeben werden. Armes Bayern.

Auch die meisten Wissenschaftler und Praktiker waren sich am Vormittag bei einem Workshop des Rundfunkkongresses darüber einig, daß bei den Privatanbietern der „Middle-of -the-Road„-Sound vorherrschend sei. Insbesondere Prof. Winfried Schulz, der in Nürnberg die Hörer nach ihren Wünschen zum privaten Radio befragt hatte - immerhin sind in dieser Region derzeit sieben Sender auf fünf Frequenzen zu hören -, konstatierte eine krasse Diskrepanz zwischen den Ansprüchen des Publikums und der Realität. Der Wunsch nach fundierter Moderation, nach Beratung und Service steht in krassem Mißverhältnis zur Realität. Als schließlich Prof. Kleinsteuber von denjenigen Rundfunkstationen im Ausland berichtete, die neben dem öffentlich-rechtlichen und dem kommerzorientierten Funk versuchen einen dritten Weg zu gehen, und meinte, daß es nicht einsehbar sei, warum es bei uns nicht ebensolche Radios gäbe, anwortete ihm Helmut Markwort: So etwas wollen wir hier nicht, und hatte die Lacher auf seiner Seite. Mit diesem Einwurf brachte der Geschäftsführer von Radio Gong2000 die ganze Ausrichtung der Veranstaltung auf den Begriff. Referenten wie Kleinsteuber oder Jürgen Dörmann vom Deutschen Institut für publizistische Bildungsarbeit in Hagen, der im Workshop „Ausbildungsmodelle für Rundfunkjournalisten“ über Chancen und Grenzen berufsbegleitender Fortbildung referiert hatte, dienten lediglich dazu, der geballten Macht von Rundfunkanbietern, Werbewirtschaft und konservativer Politik ein kleines Legitimationslichtlein aufzusetzen. Als Prof. Hans-Jürgen Weiss von der Universität Göttingen im Workshop, der sich mit der Medienforschung der 90er Jahre beschäftigte, der Branche Reichweitenfetischismus vorwarf und darauf hinwieß, daß man ja durchaus einmal die Perspektive des Rezipienten berücksichtigen solle, antwortete man ihm, er verlange Kaviar, wo man sich im Alltag mit Graubrot zufriedengeben müsse. Damit waren die Marktforscher wieder unter sich.

Standen bei diesem offiziellen Rundfunkkongreß eindeutig die Interessen der privaten Hörfunkanbieter im Mittelpunkt, so sollte beim „Forum für Medienkultur '89“, eine Art Gegenveranstaltung, über Alternativen im Bereich des Privatfunks, über Perspektiven des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und über das Problem der Aushöhlung der föderalistischen Rundfunkstruktur durch die EG diskutiert werden. Eingeladen hatte das Institut für Informations- und Kommunikationsökologie (IKÖ), das sich seit seiner Gründung im Frühjahr schnell zum Forum linker Medienkritik entwickelt hat. Hier war es Helmut Simon von der neuen Welle Ostallgäu und Rainer Büchel von RadioZ Nürnberg, die über ihren „Verlustfunk“ berichteten. Analog zu Erfahrungen die man vor Jahren in der Alternativpresse gemacht hatte, hat sich beim Nürnberger Sender nach kurzer Zeit gezeigt, daß die Arbeit mit Betroffenen sehr schwierig ist. Jetzt setzt man auf Professionalisierung, aber dazu fehlt das Geld. Darüber und ob es denn nun wirklich Chancen für ein nichtkommerzielles Radio gebe, wurde leider nicht diskutiert.

Ein Höhepunkt dieser Gegenveranstaltung, die nicht in das offizielle Programm der Münchner Gesellschaft für Kabelkommunikation (MGK) aufgenommen worden war, war der Bericht von Eva Maier, vom Hauptvorstand der IGMedien, der unter anderem die miserable Situation freier und fester Mitarbeiter bei privaten Anbietern anprangerte. Dieses Referat hätte als Pflichtbeitrag in den offiziellen Rundfunkkongreß gehört.

Auch wenn dem medieninteressierten Publikum die verabschiedete Richtlinie zum europäischen Fernsehen bekannt gewesen sein dürfte, vermittelten doch die Referate der Abschlußrunde eindrucksvoll, was da von oben auf den Zuschauer zukommt: „europäisches Fernsehen auf dem kleinsten Nenner“. Mag auch die Diskussion wenig Handlungsrelevantes gebracht haben, so hat diese Veranstaltuzng doch eindrucksvoll die verschiedenen Facetten einer Entwicklung gezeigt, die mit dem Rundfunk der 90er Jahre auf uns zukommt.

Das Resümee beider Veranstaltungen sieht eher düster aus: Im Bereich des kommerziellen Rundfunks wird es zu einem harten Verdrängungswettbewerb kommen, dem nur landesweit vernetzte Sender widerstehen können, auf der Strecke werden die kleinen U-Boote bleiben, wenn sie es nicht schaffen, sich zu spezialisieren. Ob die am Kommerz orientierten Radios einen Beitrag zur lokalen Meinungsvielfalt leisten werden, ist mehr als fraglich. Und während für das sozialdemokratische Zweisäulenmodell in Nordrhein-Westfalen, das lokale Anbieter und private Veranstalter zusammenbringen will, bereits vor seinem Start allenthalben das Prinzip Hoffnung bemüht wird, wird das öffentlich-rechtliche sich wohl an Reichweiten um die 20 Prozent gewöhnen müssen. Und die Zukunft für werbefreie, lokale Bürgerradios, von denen die Linke so lange geträumt hat? Sie liegt, nachdem der Vorstoß der Grünen in Straßburg gescheitert ist, in den Sternen. Oder besser auf der Straße, denn dorthin werden sie gehen müssen, die Radiofreaks und Querfunker, die örtlichen Gruppen und Initiativen: wenn möglich massenhaft.

Karl-Heinz Stamm